Pressemeldung

Leben mit Spenderherz: Was denken Transplantierte über den Organspender?

Forscher widmen sich den Spenderperson- und Organgedanken, die psychische Stressreaktionen hervorrufen können – mit gravierenden Folgen.

Das Forscherteam (v.l.n.r.): Dr. Nora Laskowski, Dr. Katharina Tigges-Limmer, Prof. Dr. Georgios Paslakis
Privat Das Forscherteam (v.l.n.r.): Dr. Nora Laskowski, Dr. Katharina Tigges-Limmer, Prof. Dr. Georgios Paslakis

Spenderperson- und Organgedanken können psychische Stressreaktionen bei Patienten hervorrufen – mit gravierenden Folgen. Das Phänomen untersuchen mit Förderhilfe der HerzstiftungForscher aus Medizin, Psychologie und Public Health des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum.

(Frankfurt a. M./Bad Oeynhausen, 20. Januar 2025) Enorm ist die Kluft zwischen verfügbaren Spenderherzen und der Zahl schwerkranker Patienten auf den Wartlisten für ein neues Herz: 2023 standen in Deutschland 1094 Patienten auf der Warteliste nur 330 Herztransplantationen gegenüber. Man möchte meinen: Wer ein neues Herz transplantiert bekommt, hat doch das Schwerste bereits überstanden. „Das ist auch der Fall. Allerdings stehen auch transplantierte Patienten nach überstandenem Eingriff vor einer Reihe möglicher Probleme“, erklärt der Herzchirurg und Transplantationsmediziner Prof. Dr. Jan Gummert, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Neben ersten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der medikamentösen Therapie durch Immunsuppressiva gegen Abstoßungsreaktionen des Körpers auf das Spenderorgan, können auch andere körperliche wie auch psychische Leiden hinzukommen, die medizinische Hilfe erfordern. Diese können erst im Zuge der Transplantation entstehen oder noch aus der Phase vor dem Eingriff herrühren“, so Gummert.

Forschung: Was trägt dazu bei, dass ein Spenderorgan akzeptiert wird?

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein transplantiertes Herz von der Person, die das Organ empfangen hat, angenommen und von ihr „integriert“ wird? Und welche konkreten körperlichen und psychischen Stressoren lassen sich identifizieren? Fragen wie dieser gehen Mediziner, Psychologen und eine Public Health-Expertin am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen (HDZ NRW) und der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL in einer von der Deutschen Herzstiftung und der Deutschen Stiftung für Herzforschung mit 47.600 Euro geförderten Forschungsarbeit nach. Einblicke in ihre Arbeit geben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute 4/2024 und in einem neuen Forschungs-Video unter https://www.youtube.com/watch?v=STizIN4_0Ls&t=  

Genauer in den Fokus ihrer gemeinsamen Forschung nehmen die Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken (SPOG). Das Forschungsvorhaben „Spendergedanken und Herztransplantation (SpHer)“ wird durchgeführt von Dr. Nora M. Laskowski und dem leitenden Arzt Prof. Dr. Georgios Paslakis, beide an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL tätig, sowie von Dr. Katharina Tigges-Limmer, Leiterin der medizinpsychologischen Abteilung der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im HDZ NRW, Bad Oeynhausen. 

Organabstoßungsangst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung

Die psychischen Leiden bei herztransplantierten Patienten können sehr verschieden sein.  Patienten leiden häufig unter der Angst, dass das Organ abgestoßen werden könnte. Manche haben bereits aufgrund ihrer Grunderkrankung, in der Zeit vor der Transplantation, während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus und auf der Intensivstation große Belastungen erlebt und entwickeln infolgedessen eine Depression. „In noch ausgeprägteren Fällen kann es sein, dass die Konfrontation und Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – was bei schwer herzkranken Menschen häufig der Fall ist – zu einer ,posttraumatischen Belastungsstörung‘ führt“, berichtet Professor Paslakis in HERZ heute. Das erfordere eine spezielle Behandlung, so der Mediziner. Studien zufolge kann eine Depression sogar das Ergebnis der Herztransplantation negativ beeinflussen.

Spenderperson- und Organgedanken: Wann Qual, wann Kraftquelle?

Ein emotionaler Spagat kann für Patienten auf der Warteliste für ein Spenderherz oder nach überstandener Transplantation das Nachdenken über den Organspender sein.  Das kann so belastend sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt – schlimmstenfalls lehnen Empfänger das übertragene Organ sogar ab. Es sind Gedanken 

  • über das Geschlecht und das Alter des Spenders, 
  • über die Umstände seines Todes oder seine Persönlichkeit,
  • über die Familiengeschichte, den Beruf, die Religion und gar die sexuelle Orientierung der Spenderperson.

„Das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken haben wir wissenschaftlich untersucht. Vorab stellten wir fest, dass es zu diesem Thema sehr wenig Studien gibt“, erklärt Dr. Katharina Tigges-Limmer in HERZ heute. Das klinische Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken könne sowohl vor als auch nach einer Transplantation aufkeimen und noch lange danach weiter bestehen bleiben. „Unklar war bislang auch, ob derartige Gedanken für die Patientinnen und Patienten eine emotionale Belastung sind – oder ob sie ihnen auch Kraft geben können und den Umgang mit dem Transplantationsprozess erleichtern“, so Dr. Tigges-Limmer in HERZ heute. Auf das transplantierte Herz würden auch häufig vermeintlich wahrgenommene Veränderungen des Charakters und der Persönlichkeit zurückgeführt. „Manchmal können diese Gedanken durchaus beglückend sein. Dann wird das Herz als Geschenk erlebt und dem ,Schenker‘ gegenüber entwickelt sich eine dankbare Verbundenheit.“ Manchmal können Spenderperson- und Organgedanken aber so belastend für Patienten und für ihre Angehörigen sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt. „Das wollen wir in einer künftigen Studie genauer untersuchen“, erklärt Dr. Tigges-Limmer. Wie Betroffene quälenden Gedanken Paroli bieten können, erläutern die Wissenschaftler im HERZ heute-Beitrag. 

Fast jeder Herztransplantierte hat Spenderperson- und Organgedanken

Welche Patienten entwickeln diese Gedanken, zu welchem Zeitpunkt tauchen diese Gedanken mit welchen Inhalten und Überzeugungen auf? Und als wie belastend oder bereichernd werden die Gedanken empfunden? Für neue Erkenntnisse durch mehr belastbare Daten zu diesem Thema haben die Mediziner und Psychologen des HDZ NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum mit Förderhilfe der Deutschen Herzstiftung anonym 407 Herztransplantierte am HDZ NRW befragt. „Wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen diese Gedanken überhaupt haben. Vor der Transplantation waren es etwa 40 Prozent der Befragten. Danach aber 91 Prozent. Also fast jeder hat diese Gedanken nach der Transplantation“, berichtet die Humanbiologin und Public Health-Expertin Dr. Laskowski im Herzstiftungs-Video. Betroffene gaben an, sehr erleichtert zu sein, die OP geschafft zu haben und gegenüber dem Spender eine große Dankbarkeit zu spüren. „Gleichzeitig ist für einige Patienten ein diffuses Schuldgefühl dabei, nämlich: ,Ich darf leben, während jemand anders sterben musste‘“, beschreibt Psychologin Dr. Tigges-Limmer einen häufigen Gedanken bei Herztransplantierten. „Gleichzeitig heißt es aber auch, es stirbt niemand für mich, aber mein neues Glück fußt auf dem Tod, so könnte man es sagen.“ 

Kliniken bieten Hilfen für Betroffene

Für Betroffene mit Bedarf für professionelle Hilfe gibt es in allen Transplantationszentren in Deutschland psychologische und psychosomatische Dienste, die Patienten im schwierigen Prozess der Transplantation begleiten. Aber nicht alle Patienten würden diese Hilfe auch in Anspruch nehmen. In einigen Fällen würden die Therapeuten auch aktiv Betroffene aufsuchen, wenn die Behandlungsteams den Eindruck hätten, dass Menschen unterstützt werden müssten – professionelle Hilfe aber von sich aus nicht einforderten, berichtet Dr. Tigges-Limmer. „Das Ziel muss es sein, die Schwelle der Inanspruchnahme niedrig zu halten. Psychotherapeutische Unterstützung für Menschen vor, während und nach einer Transplantation sei „kein Luxus“, sondern „eine Notwendigkeit, die als selbstverständlich anzusehen ist“, betont die Psychologin. „Doch immer noch hindert das Stigma, das mit der Psychotherapie verbunden ist, Menschen daran, diese Hilfe für sich einzufordern.“ Auch sei eine Refinanzierung dieser notwendigen Arbeit noch nicht gesichert.

Forschung nah am Patienten

Dank der finanziellen Unterstützung durch Stifterinnen und Stifter, Spender und Erblasser kann die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der von ihr 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF) Forschungsprojekte in einer für die Herz-Kreislauf-Forschung unverzichtbaren Größenordnung finanzieren. Infos unter www.herzstiftung.de/herzforschung

Laskowski, N.M., Brandt, G., Tigges-Limmer, K., Halbeisen, G., Paslakis, G. Donor and Donation Images (DDI) - A Scoping Review of What We Know and What We Don’t. Journal of Clinical Medicine 2023, 12, 952. https://doi.org/10.3390/jcm12030952

Tigges-Limmer, K., Laskowski, N., Paslakis, G., In Gedanken beim Herzspender, HERZ heute 2024; 4, 36-39

Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute

Mehr Informationen rund um das Thema Spenderperson- und Organgedanken vor und nach einer Herztransplantation mit hilfreichen Hinweisen für Betroffenen bietet die Herzstiftung in der Ausgabe 4/2024 ihrer Zeitschrift HERZ heute mit dem Titel „Krank ist man nie allen – Vom Umgang mit Herzpatienten“. Ein Probe-Exemplar dieser Ausgabe kann kostenfrei unter Tel. 069 955128-400 oder unter /bestellung angefordert werden. 

Im Forschungs-Video „Leben mit fremdem Herz – Was denken Transplantierte über den Spender des Organs?“ geben Wissenschaftler des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum Einblicke in ihrer Forschungsarbeit zum Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken. Eine Herztransplantierte berichtet. Zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=STizIN4_0Ls&t=

Bildmaterial erhalten Sie gerne unter [email protected] oder per Tel. unter 069 955128-114

Kontakt

Pressestelle: Michael Wichert und Pierre König