Die eine Bezeichnung klingt verspielt – Taktosubo –, die andere – Syndrom des gebrochenen Herzens – suggeriert Harmlosigkeit. Doch davon kann nicht die Rede sein. Das Takotsubo-Syndrom ist eine ernstzunehmende Erkrankung des Herzmuskels, dessen Symptome zunächst an etwas ganz anderes denken lassen.
Risiko bei Frauen nach den Wechseljahren
Brustschmerz, Atemnot, Herzklopfen – die Symptome ähneln einem Herzinfarkt. Selbst die Blutwerte und das EKG (Elektrokardiogramm) können darauf hindeuten. Doch dann stellt sich heraus: Die Herzkranzgefäße sind frei, es findet sich kein für einen Herzinfarkt typischer Verschluss eines großen Herzkranzgefäßes durch ein Blutgerinnsel. Besonders bei Frauen nach den Wechseljahren kann es sich in solchen Fällen um ein Takotsubo-Syndrom handeln, beschrieben erstmals im Jahre 1990 in Japan. Männer und junge Menschen sind deutlich seltener betroffen.
Ein bis vier von 100 Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt haben ein Takotsubo-Syndrom, etwa 90 Prozent sind Frauen. Meist, aber nicht ausschließlich, tritt es in mittlerem bis hohen Lebensalter auf, meist nach dem 50. Geburtstag. Bei jungen Menschen ist die Erkrankung selten, dafür verläuft sie bei ihnen oft komplikationsreicher als bei älteren Betroffenen.
Tintenfischfalle als Namensgeber
Die akute Herzmuskelerkrankung hat ihren Namen wegen der auffälligen Silhouette der linken Herzkammer erhalten: Sie erinnert an die traditionelle japanische Tintenfischfalle, einem bauchigen Gefäß mit engem Hals (japan. „tako“: Oktopus, „tsubo“: Pott). Vielfach wird auch vom „Broken-Heart-Syndrom“ gesprochen, weil es oft, aber nicht immer, emotionale Trigger sind, die es auslösen. Die Komplexität und Gefährlichkeit des Syndroms sind lange unterschätzt worden.
Heute wissen Herzspezialisten: am „gebrochenen Herzen“ kann man ebenso sterben wie an einem Herzinfarkt – das Takotsubo-Syndrom (TTS) muss ernst genommen werden. Letztlich ist es eine Sonderform der akuten Herzschwäche (Herzinsuffizienz), die Fähigkeit der linken Herzkammer, sich zusammenzuziehen und sauerstoffreiches Blut in den Körperkreislauf zu pumpen, ist eingeschränkt. Das geht mit charakteristischen Bewegungsstörungen der muskulären Herzkammerwand und einer ballonartigen Deformierung derselben einher, die die beschriebene Herzsilhouette hervorrufen.
Die Suche nach der Ursache
Die Hintergründe und genauen Ursachen sind noch nicht vollständig aufgeklärt, aber die Erforschung des Syndroms hat in den vergangenen Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Auslöser eines akuten TTS ist emotionaler und/oder körperlicher Stress, verbunden mit der Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin. Dieser Stress trifft auf Menschen, die eine gewisse Empfindlichkeit für derartige Ereignisse haben.
So ist kürzlich festgestellt worden, dass häufig Störungen der Schilddrüsenfunktion vorliegen. Zudem gibt es eine genetische Komponente. Hinzu kommen womöglich bereits bestehende Gewebeveränderungen am Herzmuskel, den versorgenden Gefäßen, dem Nerven- und Reizleitungssystem sowie hormonelle Einflüsse. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine komplexe Interaktion verschiedener Krankheitsmechanismen. Deren Auswirkungen am Herzen sind von Patient zu Patient verschieden, es werden mehrere Subtypen des TTS unterschieden.
Wie erwähnt, wird bei der Erstdiagnostik zunächst oft ein Herzinfarkt vermutet, der in der Regel auf einer koronaren Herzkrankheit beruht. Nur weil dann in der akuten Erkrankungsphase ein Herzinfarkt ausgeschlossen worden ist, kann aber dennoch parallel zum TTS eine koronare Herzkrankheit (KHK) vorliegen. Tatsächlich ließ sich in einer Studie bei fast jedem vierten TTS-Patienten eine obstruktive, also gefäßverengende, KHK feststellen, bei weiteren 42 Prozent eine nicht-obstruktive KHK. Das hat Auswirkungen auf die Komplikationshäufigkeit und die Prognose der Betroffenen.
Komplikationen des TTS sind Herzarrhythmien sowie Gerinnselbildungen in der Herzkammer mit nachfolgenden Thrombosen oder Gefäßembolien. In einer schottischen Registerstudie war eine im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöhte Sterblichkeit innerhalb von etwa fünf Jahren festgestellt worden.
Akute Lebensgefahr in fünf Prozent der Fälle
Wurde das TTS lange als meist gutartiger und vorübergehender Zustand mit spontaner Erholung der Herzkammerfunktion innerhalb von Tagen bis Wochen angesehen, wächst daher in jüngster Zeit das Bewusstsein dafür, dass die Prognose keineswegs so günstig ist, wie früher angenommen. Bei einem von 20 Betroffenen ist das TTS aufgrund schweren Herzkammerflimmerns oder kardiogenem Schock akut lebensbedrohlich und im Langzeitverlauf ist das Komplikationsrisiko erhöht.
Wie derzeit behandelt wird
Weil das Wissen über die Krankheitsmechanismen noch begrenzt ist, existieren auch noch keine gesicherten Behandlungsoptionen. Ganz generell orientiert sich das medikamentöse Behandlungsmanagement derzeit an den Grundsätzen der Behandlung von Menschen mit Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Da Stresshormone bedeutsam sind, versucht man z.B. deren ungünstigen Wirkungen mit Betablockern entgegenzuwirken. Es gibt aus Registerstudien Hinweise darauf, dass Blutdruckmedikamente wie ACE-Hemmer und AT-Rezeptorblocker erneute TTS-Ereignisse verhindern helfen.
Untersucht werden zudem antientzündlich wirkende Substanzen. Unter Umständen ist die medikamentöse Gerinnungshemmung gerechtfertigt, um Thrombosen und Embolien vorzubeugen. Je nach individuellem Verlauf der Akuterkrankung sind gegebenenfalls weitere oder andere Medikamente sinnvoll. Da es offensichtlich eine Verbindung zu neuropsychiatrischen Störungen gibt, könnte auch einer kognitiven Verhaltenstherapie Bedeutung zukommen.
Für die konkrete Weiterbehandlung nach überstandenem akutem TTS heißt das: Betroffene sollten weiter in fachärztlicher Betreuung bleiben. Grundlagen- und klinische Wissenschaftler arbeiten heute intensiv an der weiteren Erforschung des Krankheitsbildes. Dies wird zu Fortschritten in Diagnostik und Therapie führen. Spezialisten weisen darauf hin, dass sich die Diagnose eines TTS heute noch teils verzögert. Sie fordern daher mehr Aufmerksamkeit für das Syndrom mit dem exotischen Namen, dessen Häufigkeit gar nicht so exotisch und dessen Schwere keineswegs harmlos ist.
Darum sind Register so wichtig
Das Takotsubo-Syndrom wird international unter anderem mit Hilfe von Register-Studien untersucht. Auch deutsche Wissenschaftlerinnen und Forscher sind daran beteiligt. Ein Beispiel ist das GEIST (German-Italien-Spanish Takotsubo)-Register. Dort werden Daten von deutschen, italienischen und spanischen Patienten mit dem Syndrom eingegeben und systematisch analysiert. Derzeit sind 25 Zentren beteiligt und bereits Daten von 2000 Betroffenen eingepflegt. Das hilft Fragen zu beantworten wie: Welche Merkmale gibt es, mit denen das Syndrom diagnostiziert werden kann? Wie können Hochrisikopatienten erkannt werden? Wie sollte eine dem individuellen Risiko angepasste Behandlung aussehen?
Eine Gruppe aus europäischen und US-Herzzentren hat zudem mit dem Internationalen Takotsubo (InterTAK)-Register eine Datenbasis geschaffen, in der seit 2011 TTS-Patienten erfasst werden. Daraus lassen sich u.a. wertvolle Informationen zum Langzeitverlauf der Betroffenen oder auch zu Unterschieden bei Patienten verschiedener Länder gewinnen.
- Takotsubo syndrome: getting closer to its causes ; Akhtar MM et al. Cardiovasc Res 2023;119:1480-94
- Altersbedingte Unterschiede beim Takotsubo-Syndrom: Ergebnisse des multizentrischen GEIST-Registers; DGK-Pressemitteilung vom 12.2.2023
- Takotsubo syndrome outcomes predicted by thyroid hormone signature; Aweimer A et al. EBioMedicine 2024 102:105063
- Genome-wide association study in takotsubo syndrome; Eitel I, et al. Int J Cardiol 2017; 236:335-9
- Coexistence and outcome of coronary artery disease in Takotsubo syndrome; Napp LC et al. Eur Heart J 2020; 41:3255-68
- Cardiovascular and Noncardiovascular Prescribing and Mortality After Takotsubo; Rudd AE et al. JACC Adv 2024; 3(2):100797
- GEIST-Register: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Homepage: Stichwort Taktosubo
- Ethnic comparison in takotsubo syndrome: novel insights from the International Takotsubo Registry; Imori Y et al. Clin Res Cardiol 2022;111(2):186-196
Frauen und Herzkrankheiten
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
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