Kein Ersatz für die Impfung
Etwa fünf Prozent der Patienten, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, erkranken so schwer, dass sie ins Krankenhaus müssen. Das Durchschnittsalter der Neuinfizierten liegt mittlerweile bei 31 Jahren. Eine Covid-19-Impfung inklusive Boosterimpfung mit den zugelassenen Vektor-, bzw. mRNA-Impfstoffen bietet nach Auffassung von Wissenschaftlern nach wie vor den allerbesten Schutz vor einer schweren Covid-19-Erkrankung. Dennoch gibt es inzwischen ein paar Lichtblicke, wie man mit Medikamenten bei einer Infektion denjenigen erkrankten Patienten, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben, doch noch helfen kann.
„Dass es inzwischen mehr zugelassene Substanzen gibt, mit denen gerade bei Risikopatienten ein schwerer Verlauf verhindert oder bei bereits schwerkranken Covid-Patienten das Risiko, zu sterben, verringert werden kann, ist sehr hilfreich“, so Prof. Dr. med. Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. Er betont jedoch zugleich, dass diese Medikamente kein Ersatz für den Impfschutz seien. „Wer schwer an Covid-19 erkrankt, braucht meist ein ganzes Arsenal an Medikamenten. Und dieser Medikamenten-Cocktail geht immer auch mit einem entsprechenden Nebenwirkungspotenzial einher – unabhängig von den gesundheitlichen Risiken, die die Infektion an sich schon birgt“, warnt der Kardiologe. So sei z.B. das Herz bei kritisch kranken Patienten häufig mit beeinträchtigt. Die Patienten wiesen höhere kardiale Entzündungswerte auf und hätten häufiger Herzrhythmusstörungen. Die Risikokonstellation sei damit bei einer Erkrankung viel größer ist als die Risiken einer Impfung.
Für die medikamentöse Therapie von Covid-19-Patienten gibt es prinzipiell zwei Ansätze: immunmodulatorisch (sollen körpereigene Abwehrreaktion steuern) und antiviral (sollen Eindringen und Vermehren des Virus verhindern). Darüber hinaus sind Herz-Kreislauf-Medikamente im Einsatz, die die Blutgefäße vor Komplikationen vor allem in Form von Thrombosen schützen sollen, sowie Medikamente zum Erhalte der Lungenfunktion und zur Behandlung bei LongCovid-Symptomatik.
Folgenden sind diejenigen immunmodulatorischen und antiviralen Therapeutika aufgeführt, für die es aus kontrollierten Studien gute Belege für ihre Wirksamkeit gibt.
Kortikosteroide
Die Basis für immunmodulatorische Therapien bei bereits in ein Krankenhaus aufgenommenen (hospitalisierten) Patienten bilden aktuell Kortikosteroide. Bei Patienten mit Covid-19 und Sauerstoff-Bedarf inklusive invasiver Beatmung wird daher schon seit längerem mit Kortikosteroiden behandelt. Empfohlen wird hier eine Behandlung mit Dexamethason über zehn Tage. Mehrere kontrollierte Studie belegen damit ein verringertes Risiko an der Infektion zu sterben. Der Effekt ist vor allem bei schwer Erkrankten deutlich.
Antientzündliche Wirkstoffe
In den neuen Behandlungsrichtlinien aus dem Oktober 2021 für Patienten mit Covid-19, die ins Krankenhaus müssen, sind nun neben dem Kortison Dexamethason und monoklonalen Antikörpern (s.u.) auch sogenannte Januskinase (JAK)-Inhibitoren als medikamentöse Therapieoptionen aufgeführt. Denn es gibt inzwischen ausreichend Belege für einen Überlebensvorteil, wenn diese bei hospitalisierten Covid-Patienten ohne Sauerstoffbedarf (Frühphase) eingesetzt werden, wie es in den Leitlinien heißt. Die antientzündliche Wirkung der Substanzen soll die überschießende Immunreaktion abmildern, die bei einem Teil der mit SARS-CoV-2 Infizierten auftritt. Vertreter aus dieser Substanzklasse sind z.B. Baricitinib, Tofacitinib und Ruxolitinib. In einer Studie mit Baricitinib etwa, das ansonsten gegen Rheumatoide Arthritis und bei schwerer Neurodermitis angewendet wird, kam es zu deutlich weniger schweren Beatmungsfällen. Die Todesfallrate betrug 8% verglichen zu 13 % ohne diese Behandlung. In den USA ist Baricitinib (Handelsname Olumiant) bereits per Notfallzulassung gegen COVID-19 freigegeben.
Die WHO empfiehlt zudem auch den Einsatz von antientzündlichen Substanzen aus der Gruppe der Interleukin-6 (IL-6)-Antagonisten, wie den Wirkstoff Tocilizumab. Die Substanz wird in den aktuellen Leitlinien allerdings nur bei Patienten mit Sauerstoffbedarf und sich schnell verschlechterndem Zustand empfohlen. Zusammen mit einer Kortisontherapie konnte in Untersuchungen damit ebenfalls ein tödlicher Covid-19-Ausgang häufiger vermieden werden. Anfang Dezember 2021 hat der Wirkstoff offiziell die EU-Zulassung zur Therapie bei schwerer Covid-19-Erkrankung erhalten.
Monoklonale Antikörper
Neutralisierende Antikörper beruhen auf dem Prinzip, dass sie ein Virus abfangen, indem sie sich ein eine spezifische Stelle anheften und seine Wirkung neutralisieren. Im Fall von SARS-CoV-2 binden sie an das sogenannte Spikeprotein auf der Virusoberfläche, so dass das Virus nicht mehr in Interaktion mit menschlichen Zellen treten und eindringen kann. In Europa – und damit auch in Deutschland – zugelassen sind z.B. bereits die Kombination der beiden Antikörper Casirivimab plus Imdevimab (Handelsname: Ronapreve/Regn-CoV2, Hersteller: Roche) sowie der Antikörper Regdanvinab (Handelsname: Regkirona, Hersteller: Celltrion).
Die Antikörperzubereitungen werden in der Regel per Infusion oder Injektion verabreicht. Ronapreve kann zum Beispiel bei infizierten Patienten ab 12 Jahren eingesetzt werden, die keine zusätzliche Sauerstofftherapie benötigen und die ein hohes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben. Laut Leitlinien wird ein Einsatz bis max. 7 Tage nach Symptomenbeginn empfohlen und nur für Patienten, die noch keine Antikörper gegen SAR-CoV-2 ausgebildet haben. In Studien konnte hier mit der Kombination das Risiko von Krankenhauseinweisung oder Tod bei Covid-19-Patienten um 70 % verringert werden verglichen zu einer Nichtbehandlung. Die Zulassung erlaubt auch eine Anwendung zum Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung nach Kontakt mit dem Virus oder bei gefährdeten Patienten, die einen dauernden Schutz benötigen. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit gegen die Omikron-Variante des SARS-CoV-2 Virus stark eingeschränkt ist.
Wirksam gegen Omikron sind einer Publikation in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" (Jan 2022) zufolge der in der EU bereits ebenfalls zugelassene Antikörper Sotrovimab (Handelsname: Xevudy, Hersteller: GlaxoSmithKline) – er reduziert nach vorläufigen Ergebnissen Hospitalisierungen und Todesfälle um 85 % – und ein neuer, noch nicht zugelassener Antikörper namens DZIF-10c (BI 767551).
Für den Antikörper Remdesivir, ein RNA-Polymerasehemmer (Hersteller: Gilead Sciences), gibt es eine bedingte Zulassung für die EU zur Behandlung bestimmter Covid-Patienten. Es soll die Studiendaten zufolge die Genesungszeit verkürzen und das Fortschreiten der Erkrankung bremsen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im April 2022 eine eingeschränkte Empfehlung ausgesprochen für den Einsatz bei Patienten mit Covid-19, die nicht schwer erkrankt sind und das höchste Risiko einer Hospitalisierung haben. Paxlovid sei in der Regel dann jedoch vorzuziehen. In der deutschen Behandlungsleitlinie aus dem März 2022 heißt es: Remdesivir kann bei ins Krankenhaus aufgenommenen Covid-19-Patienten, die keinen Impfschutz oder mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf haben in der Frühphase der Infektion (= die ersten 7 Tage nach Symptomenbeginn) eingesetzt werden. Für Patienten, bei denen bereits eine invasive Beatmung nötig ist, sollte die Substanz aufgrund fehlender Wirksamkeitsbelege nicht eingesetzt werden.
Eine ganze Reihe weiterer Antikörper ist in der Entwicklung oder wird sogar bereits in klinischen Studien auf Wirksamkeit bei schwerem Covid-19, bzw. auf eine prophylaktische Wirkung überprüft. Eine Notfallzulassung in den USA hat dabei z.B. der Antikörper Bebtelovimab (Hersteller: Lilly) erhalten, obwohl die Wirksamkeit bislang nur in Laborstudien klar nachgewiesen ist.
Die neuen Omikron-Varianten sorgen allerdings dafür, dass die Wirksamkeit der Antikörper inzwischen teils sehr eingeschränkt ist. Die sogenannte Emergency Task Force der europäischen Arzneimittelbehörde EMA warnte im Dezember 2022 in einer Mitteilung sogar, dass die zugelassenen monoklonalen Antikörper gegen neu auftretende Stämme von SARS-CoV2- künftig gar nicht wirksam sein könnten. Das Problem: Das Spike-Protein, an das die Antikörper binden, hat sich durch diverse Mutationen inzwischen so geändert, dass die Antikörper einfach nicht mehr funktionieren und die neueren Omikron-Stämme BA.4.6, BA.2.75. und vor allem die Subvarianten BQ.1 and BQ.1.1, die vermutlich demnächst dominieren werden, nicht merklich neutralisieren. (14) Antivirale Medikamente, die einen anderen Wirkungsmechanismen haben, könnten damit gerade für Risikopatienten an Bedeutung gewinnen.
Wohl auch Schutz vor Infektion möglich
Eine erste Antikörperkombination wurde im März 2022 zudem auch zum Schutz vor einer möglichen Covid-Infektion zur Zulassung in Europa empfohlen (sog. Präexpositionsprophylaxe) und zwar für Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren. Es handelt sich dabei um die Kombination der monoklonalen Antikörper Tixagevimab plus Cilgavimab (Handelsname: Evusheld; Hersteller: AstraZeneca). Diese binden an verschiedenen Stellen des Spike-Proteins von SARS-CoV2 und verhindern ein Eindringen und Vermehren des Erregers. (10)
In der Zulassungsstudie mit 5000 ungeimpften und noch nicht an Covid erkrankten Erwachsenen konnte durch eine sogenannte Präexpositions-Prophylaxe mit dem Antikörper-Duo das Erkrankungsrisiko um 77 % verringert werden. Es wird eine Schutzdauer von mindestens sechs Monaten angegeben.
Eine solche Präexpositionsprophylaxe sollte nach aktuellen Empfehlung der STIKO (Stand Februar 2023) allerdings nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden, etwa bei Hochrisikopersonen mit sehr stark geschwächtem Immunsystem (starke Immundefizienz) sowie bei Personen mit erwartbarer oder nachgewiesener starker Einschränkung der Immunantwort auf eine Covid-Impfung. Grund ist die geringe Wirksamkeit gegenüber den aktuell zirkulierenden Virusvarianten. In den USA wurde die Zulassung sogar ganz zurück genommen.
Zu einem Einsatz bei Kontraindikationen für eine Impfung mit einem der zugelassenen Covid-Impfstoffe und gleichzeitig vorliegenden Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf rät die STIKO nicht mehr.
Paxlovid
Hierbei handelt es sich um ein seit Ende Januar 2022 in Europa bedingt zugelassenes Präparat des Unternehmens Pfizer, das zwei Substanzen kombiniert: Nirmatrelvir (PF-07321332) plus Ritonavir. Erstere blockiert ein für die SARS-CoV-2-Vermehrung wichtiges Protein. Ritonavir, das auch in der Behandlung bei HIV und Hepatitis C eingesetzt wird, verstärkt nochmals den Effekt der ersten Substanz.
Das Präparat kann ebenso wie Molnupiravir als Tablette eingenommen werden. Es kann auch von niedergelassenen Ärzten verordnet werden für Erwachsene mit Covid-19, die keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen, aber ein erhöhtes Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf haben. Den Zwischenergebnissen einer Studie mit Hochrisikopatienten zufolge reduzierte eine binnen fünf Tagen nach Covid-Symptombeginn gestartete Paxlovid-Therapie das Risiko für Hospitalisierung um relative 89 Prozent.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im April 2022 eine deutliche Empfehlung ausgesprochen (strong recommendation), die orale Kombination Nirmatrelvir/Ritonavir für Patienten anzuwenden, die nicht schwer an Covid-19 erkrankt sind, aber das höchste Risiko für eine Krankenhauseinweisung haben. Zu diesen Patienten zählt die WHO Betagte, Patienten mit Immunsuppression und/oder chronischen Erkrankungen und Ungeimpfte. Und in den deutschen Behandlungsleitlinien aus März 2022 (11) heißt es: Nirmatrelvir/Ritonavir kann bei erwachsenen Patienten mit Covid-19, bei denen kein Impfschutz und mindestens ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf vorliegt, innerhalb der ersten 5 Tage nach Symptombeginn eingesetzt werden. Auf mögliche Wechselwirkungen mit einer Dauermedikation etwas mit Statinen oder Antikoagulanzien sollte geachtet werden.
Im Oktober 2022 hat zudem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach Auswertung bisheriger Daten zu Paxlovid insgesamt ein positives Fazit gezogen: Für Erwachsene mit Covid-19, die keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen und bei denen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf besteht, zeige sich hinsichtlich Gesamtsterblichkeit und schwerem Verlauf ein „erheblichen Zusatznutzen“. Es wird inzwischen generell Patientinnen und Patienten mit Covid-19-Infektion empfohlen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Hierzu zählen z. B. ältere Menschen, Menschen mit einer Immunschwäche sowie ungeimpfte oder nicht vollständig geimpfte Personen. Die Auswertung von mehreren Tausend Patientendaten deutet inzwischen auch auf einen leichten Schutzeffekt bei älteren Patienten vor Postcovid-Folgen hin. (15)
Molnupiravir
Die Substanz ist ein sogenanntes Virustatikum und wurde ursprünglich als Mittel zur Grippetherapie entwickelt. Nach dem Einschleusen von Molnupiravir in das virale Erbgut wird die Virusvermehrung effektiv gestört. Im Unterschied zu den meisten anderen Substanzen, die gegen das SARS-CoV-2-Virus getestet werden, kann Molnupiravir als Tablette eingenommen werden. Es wurde als Mittel zur Frühtherapie (innerhalb von 5 Tagen nach Symptomenbeginn) bei erwachsenen Covid-Hochrisikopatienten, die keine zusätzliche Sauerstoffversorgung benötigen, für die Dauer von fünf Tagen per Rezept verordnet.
Nachdem das Medikament (Handelsname: Lagevrio) allerdings Ende Februar 2023 von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA keine offizielle Zulassungsempfehlung erhalten hat, ist die übergangsweise Möglichkeit für ein sogenanntes Inverkehrbringen erloschen – sprich: die Apotheken dürfen das Medikament nicht mehr abgeben.
Basis für die zwischenzeitliche Verordnungsmöglichkeit war unter anderem eine klinischen Studie des Herstellers Merck Sharp & Dohme. Der zufolge halbiert das Medikament bei infizierten Patienten das Risiko einer Krankenhauseinlieferung und eines tödlichen Krankheitsverlaufes. In Europa und damit auch Deutschland erfolgte eine Notfallzulassung am 19. November 2021.
In der deutschen Behandlungsleitline vom März 2022 hieß es noch: Molnupiravir kann, wenn keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten verfügbar und klinisch angemessen sind, bei Patienten mit Covid-19, bei denen kein Impfschutz und mindestens ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf vorliegt, innerhalb der ersten 5 Tage nach Symptombeginn eingesetzt werden. Eine Schwangerschaft muss aufgrund der möglichen Schädigung des Kindes ausgeschlossen werden.
Einfluss neuer Virusvarianten – neue Therapieansätze
Mit dem Auftreten immer neuer Virusvarianten und neuen Subgruppen der Omikron-Variante, die Veränderungen an medikamentenrelevanten Stellen aufweisen, stellt sich die Frage, ob die Wirksamkeit der Medikamente weiterhin gegeben ist. Japanische Forscher des Nationale Institute of Infectious Diseases haben dies daher in einer Studie überprüft. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die drei Substanzen Molnupiravir, Nirmatrelvir und auch Remdesivir auch gegen die neuen Omikron-Varianten wie BA.4 und BA.5 wohl weiter einen therapeutischen Wert haben. Die Kombinationen Casirivimab/Imdevimab und Tixagevimab/Cilgavimab könnten hingegen weniger wirksam sein. Vor allem Sotrovimab, das gegen die Sublinie BA.1 wirksam ist, schnitt in dieser Untersuchung gegen BA.4 und BA.5 hingegen schlecht ab. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Wahl eines monoklonalen Antikörpers zur Behandlung von Patienten, die mit Omicron-Varianten infiziert sind, besonders sorgfältig abgewogen werden sollte.
Der nur in den USA per Notfallzulassung verfügbare Antikörper Bebtelovimab scheint nach Labordaten ebenso wie die prophylaktisch einsetzbare Antikörperkombination Cilgevimab/Tixagevimab auch gegen die Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5 wirksam zu sein.
Forscher arbeiten daher vor allem an der Entwicklung neuer Medikamente mit sogenannten bispezifischen Antikörpern, die auch die neuen Varianten effektiv neutralisieren sollen, weil sie zwei Angriffspunkte unterschiedlicher Virusstämme kombinieren. Mehrere Forschungsgruppen arbeiten zudem statt mit gewöhnlichen Antikörpern mit sogenannten Nanobodies. Das sind Abschnitte aus kleineren Antikörpern, die ebenfalls an Fremdproteine/Viruspartikel binden können, jedoch leichter herzustellen und zu lagern sind.
Ein anderer therapeutischer Ansatz zielt auf den Einsatz nicht der Antikörper selbst, sondern von Genabschnitten dafür in Form von mRNA. Die Idee dahinter: Wer diese Medikamente mit mRNA erhält (z.B. zum Inhalieren), stellt in seinem Körper die notwendigen Antikörper selbst her – ähnlich wie bei der Impfung.
Schließlich wird noch versucht, sogenannte Aptamere zu entwickeln. Das sind künstlich erzeugte kurze Genstücke eines DNA- oder RNA-Strangs, die in der Lage sind, sich gezielt an ein Protein zu heften und damit SARS-CoV-2 unschädlich zu machen.
Neuer Wirkansatz: Mitosehemmung
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat vor kurzem damit begonnen, die Wirksamkeit eines neuen Medikaments bei Patienten zu prüfen, die moderat bis schwer an Covid erkrankt sind. Es handelt sich um ein Präparat mit dem Mitosehemmer Sabizabulin. Der als Tablette einzunehmende Wirkstoff wurde ursprünglich gegen sich schnellt teilende Krebszellen erforscht, denn es greift (ähnlich wie Colchicin) in den Zellteilungsmechanismus ein und bringt ihn zum Erliegen. Dabei wird auch ein Mechanismus unterbunden, der SARS-CoV-2 hilft, die menschliche Wirtszelle zu befallen, bzw. nach seiner Vermehrung wieder zu verlassen. Ersten Studiendaten zufolge (13) starben von den Hochrisiko-Patienten mit Covid – darunter einige, die auch mit der Omikron-Variante infiziert waren – durch dieses Medikament rund ein Viertel weniger im Vergleich zu jenen Patienten, die zusätzlich zur Standardmedikation nur ein Scheinmedikament (Placebo) erhielten.
Fluvoxamin
Die eigentlich als Antidepressivum und bei Zwangsstörungen zugelassene Substanz liefert aus Untersuchungen zur Blutvergiftung (Sepsis) den Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit bei Infektionen. In einer ersten brasilianischen Studie wurde dies nun auch bei 9803 symptomatischen COVID-19-Kranken mit mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf untersucht. Das Ergebnis: Die Zahl der Krankenhausaufnahmen sowie die Zahl der Todesfälle wurden deutlich reduziert. Einen positiven Effekt auf die Covid-Symptomatik haben auch US-Mediziner in eine kleinen Untersuchung mit 150 Patienten festgestellt. Weitere Daten aus großen kontrollierten Studien fehlen allerdings, die dies sicher bestätigen. Nach den aktualisierten Empfehlungen der WHO (Juli 2022) sollte die Substanz auch weiterhin nur im Rahmen klinischer Studien eingesetzt werden.
Arzneistoffe mit ungesicherter oder fehlender Wirkung
Für eine ganze Reihe von Arneistoffen, die zum Teil auch in Studien bei Covid-19-Patienten untersucht wurden, gibt es bislang keine ausreichenden oder sogar negative Daten zur Wirksamkeit bei gleichzeitig potenziell toxischen Effekten. Daher sollten sie auch nicht zur Behandlung eingesetzt werden. Zu diesen Arzneistoffen gehören u.a.: Rekonvaleszentenplasma, Ivermectin (Entwurmungsmittel), Colchicin (Gichtmittel) oder Anakinra (immunsuppressiver IL-1-Rezeptorantagonist). Gerade für Colchicin rät die WHO in ihren aktualisierten Empfehlungen (Juli 2022) von Einsatz bei nicht schwer an Covid-19 erkrankten Patienten ab.
Experte
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- www.kardiologie-meinertz-jaeckle.de/
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
Forschungsförderung
Dass SARS-CoV-2 den Herzmuskel schädigen kann, ist mittlerweile bekannt. Allerdings kennen wir noch nicht die genauen Mechanismen, mit denen das neuartige Coronavirus das Herz schädigt, wenn es den Herzmuskel befällt. Die Herzstiftung unterstützt genau zu dieser Fragestellung ein Forschungsvorhaben der Abteilung für Kardiopathologie des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Karin Klingel. Hier erläutert die Ärztin und Forscherin, welche Erkenntnisse sie und ihr Team sich von ihren umfangreichen Untersuchungen versprechen - als weiteren wichtigen Schritt im Kampf gegen Covid-19 und seine Folgen für Herz und Gefäße.
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- Effect of Dexamethasone on Days Alive and Ventilator-Free in Patients With Moderate or Severe Acute Respiratory Distress Syndrome and COVID-19; JAMA. 2020;324(13):1307-1316. doi:10.1001/jama.2020.17021
- https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/113-001LG.html
- https://www.who.int/news
- https://www.merck.com/media/news/
- https://www.pfizer.com/news/
- NEJM 2021, online 25. August, doi: 10.1056/NEJMoa2110475
- Circulation 2021, 20.Juli, doi/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.056135
- Effect of early treatment with fluvoxamine on risk of emergency care and hospitalisation among patients with COVID-19; Lancet; doi.org/10.1016/S2214-109X(21)00448-4
- Fluvoxamine vs Placebo and Clinical Deterioration in Outpatients With Symptomatic COVID-19; JAMA. 2020;324(22):2292-2300. doi:10.1001/jama.2020.22760
- EMA recommends authorisation of COVID-19 medicine Evusheld (ww.ema.europa.eu)
- https://www.awmf.org/die-awmf/awmf-aktuell/aktuelle-leitlinien-und-informationen-zu-covid-19/covid-19-leitlinien.html
- Efficacy of Antibodies and Antiviral Drugs against Omicron BA.2.12.1, BA.4, and BA.5 Subvariants NEJM 7, 2022; DOI: 10.1056/NEJMc2207519
- Oral Sabizabulin for High-Risk, Hospitalized Adults with Covid-19: Interim Analysis; NEJM Juli 2022; https://doi.org/10.1056/EVIDoa2200145
- https://www.ema.europa.eu/en/news/etf-warns-monoclonal-antibodies-may-not-be-effective-against-emerging-strains-sars-cov-2
- JAMA Intern Med. 2023; doi:10.1001/jamainternmed.2023.5099