Vorhofflimmern ist häufig – und tückisch. Vor allem mit dem Alter nimmt die Zahl der Betroffenen zu. Unbehandelt geht damit – neben der Gefahr, dass eine Herzschwäche entsteht oder verschlechtert wird – ein hohes Risiko für Schlagfall einher. Gerade das Vorbeugen eines Schlaganfalls ist daher heute ein zentraler Teil der Therapie. Zum Einsatz kommen dazu vor allem Gerinnungshemmer, sogenannte Antikoagulanzien, die als Tabletten verordnet werden.
Doch viele Patienten sind hier verunsichert, vor allem aus Furcht vor möglichen Nebenwirkungen wie schweren Blutungen. Bei guter Information und Kontrolle durch den Arzt ist das unbegründet. Die Gabe von Antikoagulanzien ist für Patienten mit Vorhofflimmern eher ein Segen: Denn bis zu ihrer Einführung war der Schlaganfall die häufigste Komplikation der Herzrhythmusstörung, oft mit schweren dauerhaften Folgen wie ausgeprägten Lähmungen und Verlust der Sprache verbunden.
So beeinträchtigt Vorhofflimmern die Blutgerinnung
Das Herz und Gefäßverschlüsse im Gehirn scheint zunächst wenig miteinander zu verbinden. Warum so viele Patienten mit der Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern einen Schlaganfall bekommen, ließ sich erst mit systematischen Ultraschalluntersuchungen des Herzens und mit Hilfe der Computertomographie (CT) erforschen. Hierbei zeigte sich, dass sich vor allem im linken Vorhof des Herzens und dort besonders in einer zipfelförmigen Aussackung – dem sogenannten Vorhofohr – bei Vorhofflimmern häufig feine Eiweißfäden (Fibrinen = „Klebstoff“ der Blutgerinnung) bilden, die sich zu kompakten, bis kirschkerngroßen Blutgerinnseln (= Thromben) zusammenballen können. Gelangen die Blutgerinnsel dann mit dem Blutstrom ins Gehirn, können sie dort ein hirnversorgendes Gefäß verstopfen. Damit droht ein ischämischer Schlaganfall.
Heute weiß man aufgrund vieler Untersuchungen, dass sich bei Vorhofflimmern durch die gestörte Herzbewegung und Umbauprozesse im Herzen die fein austarierte Balance der natürlichen Gerinnungsfähigkeit des Blutes in Richtung einer lebensbedrohlichen Gerinnselbildung verschiebt. Denn die Blutplättchen und die flüssigen „Gerinnungsfaktoren“ im Blut reagieren empfindlich auf Veränderungen im Blutfluss und sind zusätzlich im Alter oder bei Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Herzschwäche oder Diabetes mellitus (der „Zuckerkrankheit“) eher in Richtung Gerinnung verschoben. Mit Hilfe einer medikamentösen Gerinnungshemmung durch Antikoagulanzien versucht man daher dem Risiko einer Thrombenbildung und einem Schlaganfall vorzubeugen.
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Wann bei Vorhofflimmern Antikoagulanzien empfohlen werden
Das Risiko für Vorhofflimmern an sich hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: Vorerkrankungen, Gene, Alter und Lebensstil spielen eine Rolle. So nimmt mit steigendem Alter das Risiko für Vorhofflimmern deutlich zu. Ab einem Alter von 75 Jahren ist bereits etwa jeder Zehnte betroffen. Auch Vorerkrankungen begünstigen das Auftreten von Vorhofflimmern. Dazu gehören z.B.
- eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD),
- Gefäßerkrankungen wie pAVK,
- chronische Nierenfunktionsstörung,
- das Schlafapnoe-Syndrom,
- Diabetes mellitus,
- Bluthochdruck,
- Herzmuskelschwäche,
- Herzkranzverengungen,
- Herzklappenfehler und sogar
- entzündliche Systemerkrankungen (z.B. Rheuma),
Das Schlaganfallrisiko bei Patienten mit Vorhofflimmern wird ebenfalls durch viele diese Faktoren bestimmt. Zum Abschätzen des individuellen Risikos für einen Schlaganfall wird meist ein besonderer Risikoscore ausgewertet: CHA2DS2-VA, in den die wichtigsten Risikofaktoren/Vorerkrankungen einberechnet werden, die zuvor in vielen Studien ermittelt wurden. Für einen Patienten, der über 75 Jahre alt ist, vergibt der Score zum Beispiel 2 Punkte. Hat der Patient in seiner Vorgeschichte sogar bereits einmal einen Schlaganfall, wird dies mit weiteren 2 Punkten bewertet.
Bei fehlendem Risiko auf dieser Scala (Bei Männern und Frauen: 0 Punkte), wird die Einnahme von Antikoagulanzien nicht empfohlen. Bei höherem Punktwert steigt das Risiko, so dass sich hier mit einer Blutverdünnung das Schlaganfallrisiko nachweislich senken lässt. Ab einem Wert von zwei Punkten sollten daher in jedem Fall dauerhaft blutgerinnungshemmende Medikamente eingenommen werden. Bei einem Punkt nach dem CHA2DS2-VA-Score sollten nach den aktuellen Leitlinien aus dem Jahr 2024 Antikoagulanzien zumindest in Erwägung gezogen werden. Das weibliche Geschlecht wird in dem Risikoscore nicht mehr gesondert berücksichtigt.
Die Blutverdünnung ist sehr effektiv, es lassen sich 2 von 3 Schlaganfällen verhindern. Jeder vermiedene Schlaganfall, verhindert auch großes Leid durch bleibende Schäden.
Gerinnungshemmer auch bei seltenem Vorhofflimmern?
Oft stellen sich Patienten mit nur sehr seltenem Vorhofflimmern die Frage, ob sie auch in den langen Phasen, wenn das Herz normal im Sinusrhythmus schlägt, einen Gerinnungshemmer benötigen. Derzeit raten Kardiologen, die Gerinnungshemmung konsequent fortzuführen, weil das Schlaganfallrisiko bereits mit einer einzigen stattgehabten Vorhofflimmern-Episode steigt.
Die gleiche Empfehlung gilt auch nach einer erfolgreichen Katheterablation. Aktuell wird hier untersucht, ob möglicherweise nach einer längeren Zeit ohne erneutes Vorhofflimmern dann vielleicht doch ein Verzicht auf die Antikoagulation möglich ist.
Welche Antikoagulanzien gibt es?
Viele Jahrzehnte lang waren als blutgerinnungshemmende Wirkstoffe in Tablettenform nur sogenannten Vitamin-K-Antagonisten (VKA; Hauptwirkstoff Phenprocoumon, besser bekannt als Marcumar oder Falithrom) erhältlich. VKA hemmen in der Leber die Bildung von mehreren spezifischen Blutgerinnungsfaktoren für die Vitamin K benötigt wird.
Die Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten hat sich gut bewährt, ist jedoch zugleich aufwendig: Es bedarf regelmäßiger Kontrollen und Blutentnahmen, um die oft schwankende Wirkstärke zu prüfen. Zudem gibt es viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und mit Nahrungsmitteln, die die Wirkung beeinflussen können. Daher muss dauerhaft regelmäßig überprüft werden, ob der angestrebte Laborzielwert der Gerinnung erreicht wird.
Das geschieht, indem der sogenannte INR (International Normalized Ratio) bestimmt wird. Dieser Wert gibt den Faktor an, um den die Gerinnungszeit des Blutes gegenüber dem Normalwert verlängert ist und sollte immer im Zielbereich von 2-3 liegen. Diese Kontrolle kann der Hausarzt durchführen – bei einer langfristigen Medikamentengabe ist es jedoch empfehlenswert, wenn Patientinnen und Patienten ihren INR-Wert selbst messen und dann auch die Dosierung selbstständig festlegen können.
Seit es die neuen, direkt wirkenden oralen Antikoagulanzien (abgekürzt DOAK; auch NOAK) gibt, besteht eine einfachere Möglichkeit der Gerinnungshemmung. Die DOAK greifen gezielt in die komplexe Gerinnungskaskade im Blut ein, indem sie nur einzelne Gerinnungsfaktoren direkt und reversibel hemmen. Im Handel sind in Deutschland derzeit vier Substanzen aus dieser Gruppe:
- Apixaban,
- Dabigatran,
- Edoxaban,
- Rivaroxaban.
Die DOAK werden als Tablette ein- bis zweimal täglich eingenommen und haben sich hinsichtlich des Schlaganfallschutzes bei Vorhofflimmern als ebenso wirksam wie die Vitamin-K-Antagonisten erwiesen. Schwere Blutungen im Gehirn treten bei den DOAK deutlich seltener auf. Es gibt zudem weniger Probleme mit anderen Medikamenten und auch die Planung von Operationen, bei denen das Blutungsrisiko bedacht werden muss, ist einfacher. Welche Substanz in welcher Dosis am besten geeignet ist, besprechen Hausarzt und/oder Kardiologe direkt mit dem Betroffenen, da dabei verschiedene Faktoren in die Waagschale geworfen werden müssen.
In etwa 80 % der Fälle wird heute bei Neuverordnung bei Vorhofflimmern ein Medikament aus der Gruppe der DOAK verordnet. Die Leitlinen empfehlen sie auch als Medikamente der ersten Wahl. Patienten, die gut mit der VKA-Behandlung zurechtkommen, bleiben allerdings meist bei dieser Medikation. Ebenso sind Vitamin-K-Antagonisten nach wie vor für Patienten mit mechanischen Herzklappen oder mit einer (heute seltenen) schweren und nicht behandelbaren Mitralklappenverengung die Gerinnungshemmer der Wahl.
ASS statt Antikoagulanzien?
ASS (die Abkürzung steht für Acetylsalicylsäure) ist ein sogenannter Thrombozytenaggregationshemmer, der seit vielen Jahrzehnten erfolgreich bei Herzinfarkt oder Schlaganfall eingesetzt wird. Bereits in niedriger Dosierung sorgt die Substanz dafür, dass sich die Blutplättchen (=Thrombozyten) nicht so schnell zusammenballen und zu einem Thrombus verklumpen. Die Wirkung setzt in der frühen Phase der Blutgerinnung an. Weitere Substanzen aus dieser Gruppe sind z.B.: Clopidogrel, Plasugrel, Ticagrelor. Viele Studien konnten aber belegen, dass der Effekt bei Vorhofflimmern jedoch nicht ausreicht, um vor einem Schlaganfall zu schützen. Es werden daher hier ausschließlich die Antikoagulanzien eingesetzt, die zu einer Verringerung der „flüssigen“ Gerinnungsfaktoren im späteren Verlauf der Blutgerinnung eingreifen.
Wie hoch ist das Blutungsrisiko durch Gerinnungshemmer?
Die größte Furcht vieler Patienten und Patientinnen, die einen Blutverdünner einnehmen sollen, ist die vor ausgeprägten, vielleicht sogar gefährlichen Blutungen. Kleine Blutergüsse in Haut von Armen und Beinen sind auch tatsächlich häufig. Auch leichte offene Verletzungen, etwa im Haushalt und Garten, können länger und stärker bluten, lassen sich aber durch festes Andrücken eines Taschentuchs oder eines medizinischen Verbandes meist einfach und anhaltend stoppen.
Wichtig bei Vitamin-K-Antagonisten ist die Kontrolle des INR-Wertes, um das Blutungsrisiko gering zu halten. Diese Kontrolle ist bei Einnahme von DOAK nicht nötig. Außerdem sollte man darauf achten, wenn z.B. der Urin blutig ist oder der Stuhl sich schwarz verfärbt, da dies auf eine innere Blutung hindeuten kann.
Eine Auswertung der DOAK-Zulassungsstudien zeigte, dass lebensbedrohliche Blutungen so häufig wie unter Vitamin K-Antagonisten auftreten können, Blutungen in das Gehirn aber deutlich reduziert waren. In Summe überwiegt der Schutz vor Schlaganfall das Risiko für schwere Blutungskomplikationen deutlich. DOAK schneiden beim Vergleich mit Vitamin-K-Antagonisten in Punkto Anwendungsfreundlichkeit und Sicherheit in vielen Studien besser ab bei vergleichbarer Wirkung.
Therapieunterbrechung vor Operationen: Was ist zu beachten?
Da es sich bei der Blutverdünnung um eine längerfristige, häufig auch geplant lebenslange Therapie handelt, kann es zu Situationen kommen, in denen eine kurze Pause nötig ist. Bei den klassischen Vitamin K-Antagonisten ist es vor allem wegen des verzögerten Wirkeintritts und aufgrund der längeren Wirkdauer schwierig, diese Unterbrechungen zu steuern. Bei den Patienten sollte vor einem geplanten Eingriff der INR (Internationale Normalisierte Rate = sagt aus, wie schnell das Blut gerinnt) in einem niedrigen therapeutischen Bereich liegen, was meist eine kurzzeitige Therapieanpassung in Absprache mit dem Arzt erfordert. Unter Umständen ist auch eine „überbrückende“ Gabe von Heparin-Spritzen nötig.
Bei einer Behandlung mit einem Gerinnungshemmer aus der Gruppe der DOAK ist es hingegen inzwischen so, dass man bei Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko – dazu zählen z.B. Zahnextraktionen, aber auch Schrittmacherimplantationen – dazu übergegangen ist, die blutgerinnungshemmende Therapie nur am Op-Tag einmalig auszusetzen und nicht länger zu pausieren. Nur bei größeren Operationen sind Einnahme-Pausen von max. 3 – 5 Tagen nötig, eine Überbrückung mit Heparin-Spritzen entfällt aber ganz. Da die genauen Details individuell vom Blutungsrisiko des Eingriffs sowie dem Risiko des Schlaganfalls abhängen, erhält ein Patient dazu immer eine individuelle Empfehlung seines Arztes.
Für ganz akute und schwere Notfälle haben die meisten Kliniken darüber hinaus inzwischen auch Gegenmittel verfügbar, die die Wirkung der DOAK sofort nach Gabe neutralisieren können. Generell gilt: Das Absetzen eines Gerinnungshemmers sollte nie ohne Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen!
Experte
Privatdozent Dr. med. Gerian Grönefeld, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und Chefarzt der kardiologischen Abteilung der Asklepios Klinik Barmbek, Hamburg. Zu den Schwerpunkten des Herzspezialisten zählen u. a. Herzrhythmusstörungen, spezielle Fragen der Blutverdünnung, Behandlung der koronaren Herzkrankheit sowie die Schrittmacher- und Defibrillatortherapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz.
Unser Informationsmaterial
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Zurück in den Takt: Vorhofflimmern (2022)
PDF: 6,22 MB -
Damit das Blut nicht stockt
PDF: 696,57 KB -
Gerinnungshemmer (2022)
PDF: 1,17 MB
Etwa jeder fünfte Schlaganfall in Deutschland ist auf Vorhofflimmern zurückzuführen. Die Ursache des Gerinnsels liegt im Herz, genauer gesagt im linken Vorhof. Medikamente, die die Blutgerinnung bremsen, spielen daher bei dieser häufigen Herzrhythmusstörung eine wichtige Rolle, um Schlaganfällen vorzubeugen. Doch wieso kommt es überhaupt zur Gerinnselbildung? Wie helfen Gerinnungshemmer, sogenannte, Antikoagulanzien, und welche Risiken sind damit verbunden? Das erläutert der Kardiologe Dr. Gerian Grönefeld aus Hamburg ausführlich in diesem Interview.