Regelmäßiger Alkoholkonsum, selbst in geringen Mengen, steigert das Risiko für Vorhofflimmern – selbst bei gesunden Menschen ohne Vorerkrankungen. Das hat eine repräsentative Studie des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburgs gezeigt.
330 Milliliter Bier pro Tag reichen schon aus, um Vorhofflimmern auszulösen
Wer bisher sein tägliches Gläschen Wein genossen hat und glaubte, sich damit etwas Gutes zu tun, muss ab sofort neuen Tatsachen ins Auge blicken: Selbst der recht mäßige Konsum von circa 120 Millilitern Wein oder 330 Millilitern Bier pro Tag kann gefährliches Vorhofflimmern auslösen. Zu dieser Erkenntnis kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg. Sie analysierten Daten von rund 100.000 Menschen, die nie zuvor unter Vorhofflimmern litten. Sie wurden über einen Zeitraum von rund 14 Jahren beobachtet, währenddessen sie im Schnitt drei Gramm Alkohol pro Tag zu sich nahmen. Wie wenig das ist, zeigen diese Beispiele: Ein kleines Bier von circa 300 Millilitern enthält bereits circa 10 Gramm Alkohol, ebenso ein Glas Wein mit circa 100 Millilitern.
Die Daten der Teilnehmenden stammten aus fünf verschiedenen Studienkohorten, ihr Durchschnittsalter betrug 47,8 Jahre. Die konkreten Ergebnisse der Analyse fasst Dr. Dora Csengeri vom Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg zusammen: „Die Personen mit dem moderaten Alkoholkonsum hatten im Vergleich zu abstinenten Menschen ein 16 Prozent höheres Risiko, an Vorhofflimmern zu erkranken. Rund 6000 der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erlitten in dieser Zeit erstmalig Vorhofflimmern. Bei gut 54.000 Studienteilnehmern sind zudem kardiale Biomarker wie NT-proBNP oder hochsensitives Troponin I gemessen worden– sie gelten als Indikatoren für Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Dora Csengeri: „Es gibt also einen signifikanten Zusammenhang zwischen bereits geringem Alkoholkonsum und einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern.“ Das Fazit der Ärztin und Wissenschaftlerin: „In Bezug auf Vorhofflimmern muss man vom regelmäßigen Konsum selbst kleiner Mengen abraten.“
Antworten auf 3 häufig gestellte Fragen
Um Vorhofflimmern zu verstehen, muss man begreifen, wie ein gesunder und regelmäßiger Herzschlag entsteht: Die Pumpfunktion des Herzmuskels wird durch elektrische Impulse ausgelöst. Den Takt gibt der sogenannte Sinusknoten an. Er befindet sich in der Wand des rechten Vorhofs und ist ein dichtes Netzwerk von Herzmuskelzellen, die elektrische Impulse erzeugen und aussenden können. Diese Impulse breiten sich über die Muskelzellen der Vorhöfe durch Vorhofkontraktionen bis zum sogenannten AV-Knoten aus – er ist der sekundäre Schrittmacher unseres Herzens und befindet sich ebenfalls in der Wand des rechten Vorhofs. Von hier aus wandern die elektrischen Impulse weiter über die restliche Muskulatur des Herzens, was zur Kontraktion der Herzkammern führt. Läuft alles geordnet und regelmäßig ab, entsteht so unser Herzschlag, mit dem unser Körper mit Sauerstoff versorgt wird. Beim Vorhofflimmern gerät nun einiges durcheinander: Es kommt zu Fehlern bei der Bildung oder Weiterleitung der elektrischen Impulse. Die Vorhöfe werden unkontrolliert erreget und es entsteht ein elektrisches Chaos. Daraufhin können sich die Vorhöfe nicht mehr rhythmisch zusammenziehen. Sie bewegen sich stattdessen ungeordnet bis zu 600 Mal pro Minute. Der AV-Knoten kann dieses Flimmern zwar bis zu einem gewissen Maß filtern, leitet aber dennoch wesentlich mehr Impulse als im Normalfall an die Hauptkammern weiter.
Mögliche Symptome bei Vorhofflimmern sind:
- Leistungsschwäche (bei Vorhofflimmern, das mehrere Stunden oder Tage andauert)
- Unruhe und Angst
- Luftnot
- Schwächegefühl
- Schwindelattacken
- Brustschmerzen
- kurzzeitige Bewusstlosigkeit
Die Krankheit tritt vor allem bei Menschen auf, die bereits andere Herzprobleme oder Vorerkrankungen haben. Zu den Risikofaktoren gehören:
- Bluthochdruck
- Herzschwäche
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
- Schilddrüsenüberfunktion
- Herzklappenerkrankungen
Vor allem auch ältere Menschen gehören zur Risikogruppe. Andreas Götte: „Die Gefahr für Vorhofflimmern steigt mit zunehmendem Lebensalter an. Bei der Gruppe der 60-Jährigen sind etwa 4 Prozent betroffen, bei den 80-Jährigen über 20 Prozent.“ Und – wie die neue Hamburger Studie ergeben hat – ist Alkohol selbst in geringen Mengen ebenfalls ein nicht zu vernachlässigender Risikofaktor.
Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums sind schon lange bekannt
Dass übermäßiger Alkoholkonsum dem Herzen schadet, ist längst bekannt. „Grundsätzlich ist die Verbindung zwischen kardiovaskulärer Sterblichkeit und Alkohol schon sehr alt“, betont Herzspezialist Andreas Götte. Circa 1890 habe es bereits erste Analysen des Münchner Pathologen Otto von Bollinger gegeben, der den massiven Bierkonsum der Bierkutscher von mehreren Litern Bier pro Tag in den Fokus nahm und den Betroffenen das sogenannte „Münchner Bierherz“ attestierte – ein schwer krankes, vergrößertes und schwaches Herz. Dass übermäßiger Alkoholkonsum das Risiko für Vorhofflimmern erhöht, ist ebenfalls keine Neuigkeit. „Nach durchzechten Nächten steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, ein oder zwei Tage später Vorhofflimmern zu bekommen“, erklärt Andreas Götte. Hierfür gebe es sogar einen eigenständigen Begriff: das Holiday-Heart-Syndrom. Auch sei bereits bekannt, dass Menschen, die unter Vorhofflimmern litten, ihre Krankheit durch regelmäßigen hohen Alkoholkonsum noch anfeuerten. „Mit der neuen Studie müssen wir nun aber zusätzlich anerkennen, dass eben auch schon kleinere Mengen Alkohol das Flimmern auslösen können“, betont Andreas Götte.
Fazit: Wie viel Alkohol ist akzeptabel?
Empfehlungen des Herzexperten im Überblick
Was nun? Alkohol, ja oder nein? „Es ist tatsächlich die Frage, wie man die richtige Balance finden kann“, sagt Andreas Götte. Er fasst seine Empfehlungen wie folgt zusammen:
- Menschen, die bereits unter Vorhofflimmern leiden, sollten den Alkoholkonsum im besten Fall komplett einstellen oder zumindest stark reduzieren.
- Wer moderat und nur gelegentlich ein Glas Alkohol trinkt, muss in der Regel nicht Vorhofflimmern befürchten.
- Dennoch gilt: Eine risikofreie oder risikoarme Alkoholmenge gibt es nicht.
- Wer regelmäßig trinkt – und sei es auch nur ein Gläschen – erhöht sein Risiko, Vorhofflimmern zu entwickeln, deutlich. Das gilt auch für Menschen, die noch nie unter Vorhofflimmern gelitten haben.
- Wer gar keinen Alkohol trinkt, weil er ihm vielleicht einfach nicht schmeckt, sollte wegen erhoffter gesundheitlicher Vorteile keinesfalls damit anfangen. „Es gibt keine ärztliche Empfehlung für Alkoholkonsum!“
Expertin
Dr.med.univ. Dora Csengeri ist seit 2017 Assistenzärztin in der Klinik für Kardiologie am Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg. Ihr Medizinstudium absolvierte sie von 2009 bis 2015 an der Medizinischen Universität Graz. Vor ihrer klinischen Tätigkeit arbeitete sie als Studienärztin in der Hamburg City Health Study. Neben ihrer klinischen Ausbildung ist sie auch im wissenschaftlichen Bereich tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind kardiovaskuläre populationsbasierte Studien zum Screening und Risikoprädiktion von Volkserkrankungen wie Vorhofflimmern und koronare Herzerkrankung.
Experte
Prof. Dr. med. Andreas Götte, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung e. V., Chefarzt des St. Vincenz-Krankenhaus. Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie.
Möchten Sie mehr wissen?
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Herz außer Takt: Vorhofflimmern (2018)
PDF: 6,22 MB -
Leben mit Herzrhythmusstörungen (2019)
PDF: 1,54 MB
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- https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Vorhofflimmern-Schon-ein-Glas-Wein-taeglich-ist-riskant-416191.html
- https://academic.oup.com/eurheartj/advance-article/doi/10.1093/eurheartj/ehaa953/6090248