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Covid-19: Veränderte Blutgerinnung verstehen

Tübinger Forscher finden wichtige Hinweise für eine verbesserte Gerinnungstherapie

Aktualisiert: 11.03.2024

Bild von Prof. Dr. Tamam Bakchoul
© Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen Prof. Dr. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Instituts für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen

In einem von der Herzstiftung geförderten Projekt haben Prof. Dr. Tamam Bakchoul und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Tübingen die gestörte Blutgerinnung bei schwerkranken Covid-19-Patienten untersucht. Ihre Erkenntnisse lassen besser verstehen, warum sich die Blutgerinnung bei schwer Erkrankten verändert und wie die Gerinnungstherapie individuell angepasst werden muss.

Auffällige Blutgerinnungsstörungen bei Covid-19-Patienten

Bereits unmittelbar nach Beginn der Corona-Pandemie fielen bei Patienten, die an Covid-19 litten – der vom Coronavirus Sars-Cov-2 verursachten Erkrankung –, Gerinnungsstörungen und eine ungewöhnlich hohe Zahl von Thrombosen auf. Heute weiß man, dass es bei rund 20 bis 30 Prozent der Covid-19-Patienten zu bedrohlichen Gerinnungsstörungen als Begleiterkrankung kommt.

Die Tübinger Forscher untersuchten daraufhin das Blut von schwerkranken Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation der Universitätsklinik beatmet wurden, und verglichen die Analyseergebnisse mit gesunden Menschen sowie mit Covid-19-Patienten, die nicht intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Das Resultat: Bei den schwerkranken und beatmeten Covid-19-Patienten ließen sich viele Blutplättchen nachweisen, die in einem äußerst gerinnungsfördernden Zustand waren.

Stark aktivierte Blutplättchen

Normalerweise „schlummert“ die Mehrzahl der Blutplättchen in unserem Körper; nur bei Bedarf werden sie vom Körper geweckt. Dazu bilden sich auf der Oberfläche der Blutplättchen bestimmte Aktivierungsmarker aus. Die Überzahl stark aktivierter Blutplättchen war nicht die einzige Auffälligkeit bei Covid-19-Patienten: Die Tübinger Forscher fanden auch Blutplättchen mit Biomarkern für den sogenannten programmierten Zelltod, die Apoptose. Diese Zellen sind gleichsam zum Sterben verurteilt. Die veränderten Blutplättchen lassen das austarierte System der Blutgerinnung bei Covid-19-Patienten aus dem Gleichgewicht geraten.

Das Blutgerinnungssystem des Menschen

Wer sich in den Finger schneidet, blutet. Doch das Blut fließt nur vorübergehend: Das körpereigene Gerinnungssystem sorgt dafür, dass sich das Leck im Blutgefäßsystem rasch wieder schließt. Dafür zuständig sind spezialisierte Blutzellen, die Blutplättchen oder „Thrombozyten“, und eine Vielzahl löslicher Faktoren. Sie lassen das Blut gerinnen – das verletzte Gefäß wird abgedichtet und repariert. Die Blutgerinnung, die „Koagulation“, ist ein lebenswichtiges Schutzsystem. Es kann nur funktionieren, wenn alle seine Bestandteile in einem stabilen Gleichgewicht zusammenarbeiten. Denn das Blut darf weder zu langsam noch zu schnell koagulieren. Wenn es zu langsam gerinnt – wie bei der Bluterkrankheit – kann es zu lebensgefährlichen inneren Blutungen kommen. Gerinnt es zu schnell oder zu stark, droht die Bildung von Blutpfropfen (Thromben), die wichtige Gefäße verstopfen und eine Thrombose mit schweren Folgen verursachen können: Blockiert ein Gerinnsel ein Lungengefäß, entsteht eine Lungenembolie, verschließt es ein Gefäß im Gehirn, folgt ein Schlaganfall; ist ein Blutgefäß betroffen, das den Herzmuskel versorgt, folgt der Infarkt.

Patient auf der Intensivstation, der künstlich beatmet wird
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Blutgerinnung aus dem Gleichgewicht

Bei schwer erkrankten, beatmeten Covid-19-Patienten fanden die Tübinger Forscher im Vergleich zu Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt waren, mehr gerinnungsfördernde („pro-thrombotische“) und mehr für den programmierten Zelltod vorgesehene („pro-apoptotische“) Blutplättchen als normale Blutplättchen. Bei nur leicht Erkrankten hingegen ließen sich diese zellulären Veränderungen nicht nachweisen. Sobald sich der Gesundheitszustand der coronainfizierten Patienten allerdings verschlechterte, fanden sich auch bei ihnen die veränderten Blutplättchen. „Dieser Befund könnte also ein Marker für die Schwere der Covid-19-Erkrankung sein“, interpretiert Professor Tamam Bakchoul die klinische Bedeutung dieses Forschungsergebnisses.

Warum verändern sich die Blutplättchen bei Covid-19-Patienten?

Die Veränderungen der Blutplättchen werden von „Antikörpern“ ausgelöst. Dabei handelt es sich um Proteine, die von bestimmten Zellen des Immunsystems gebildet werden und sich gezielt gegen körperfremde Strukturen richten, beispielsweise gegen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren. Im Labor erkannten die Tübinger Forscher, dass die Antikörper fähig sind, schlummernde Blutplättchen aufzuwecken. In den Blutplättchen ereignen sich komplexe molekulare Prozesse, die aus schlafenden Blutplättchen aktive Bluttplättchen machen.

Antikörper, die sich an Blutplättchen binden
© Foto: Shutterstock/zodyak Antikörper, die sich an Blutplättchen binden

Covid-19-induzierte Blutgerinnungsstörung

Vorläufige Daten zeigen, dass sich die Antikörper sowohl gegen Strukturen auf dem Coronavirus als auch gegen Strukturen auf den Blutplättchen richten. Im Körper der Patienten könnte es deshalb zu einer „Kreuzreaktion“ kommen – so nennen Immunologen Abwehrreaktionen, bei denen ein Antikörper irrtümlich nicht nur an sein eigentliches Ziel, sondern sich auch an ein zweites bindet, weil sich beide Strukturen molekular sehr ähnlich sehen. Im Fall einer schwer verlaufenden Covid-19-Erkrankung könnte es demnach so sein: Das Immunsystem reagiert auf die Coronavirus-Infektion überschießend und bildet unkontrolliert sehr viele Antikörper, die sich nicht allein an die körperfremden Erreger, sondern auch an körpereigene Blutplättchen binden: Das Gerinnungssystem gerät aus der Balance, eine „Covid-19-induzierte Blutgerinnungsstörung“ ist entstanden.

Auch die körpereigene Fähigkeit, Blutgerinnsel aufzulösen, ist bei Covid-19-Patienten beeinträchtigt

Bei Infektionen mit dem Coronavirus spielt auch die Fibrinolyse – die natürliche körpereigene Fähigkeit, Blutgerinnsel aufzulösen – eine wichtige Rolle: Bei der Covid-19-induzierten Blutgerinnungsstörung findet die Fibrinolyse nicht oder nur noch verlangsamt statt. Auch die Beschaffenheit der Gerinnsel ist verändert. „Wir fanden bei Covid-19-Patienten festere Gerinnsel als bei anderen Intensivpatienten oder bei gesunden Menschen“, erläutert Karina Althaus, Erstautorin der in „Blood“ veröffentlichten Tübinger Studie.

Zwischenzeitlich haben die Tübinger Ärzte und Wissenschaftler ein Verfahren weiterentwickelt, mit dem Patienten, bei denen sich starke Gerinnungsstörungen anbahnen, so schnell wie möglich erkannt und Covid-19-Risikopatienten mit einer angepassten Gerinnungstherapie (Antikoagulation) frühzeitig vor Komplikationen geschützt werden können.

Für Herz-Kreislauf-Patienten gilt: Sie haben per se ein höheres Thromboserisiko. „Herz-Kreislauf-Patienten bedürfen deshalb einer größeren Aufmerksamkeit und erhalten früher eine Antikoagulation“, unterstreicht Prof. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Instituts für klinische und experimentelle Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen.

Covid-19-Projektförderung der Deutschen Herzstiftung

Das Projekt der Tübinger Forscher um Prof. Tamam Bakchoul gehört zu den 14 hochkarätigen Forschungsvorhaben, die für die „Covid-19-Projektförderung“ der Deutschen Herzstiftung ausgewählt wurden. Die Studie mit dem Originaltitel „Tübinger-Studie zur Gerinnungsstörung bei COVID-19 Patienten” erhielt eine Fördersumme von 100.000 Euro.

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  • Althaus K. et al. (2021): Antibody-induced procoagulant platelets in severe COVID-19 infection. doi: 10.1182/blood.2020008762