Artikel

Wie die Telemedizin Patienten mit Herzschwäche helfen kann

Forscher prüfen, ob sich auch per Fernüberwachung eine Verschlechterung des Gesundheitszustands bei Herzschwäche frühzeitig erkennen lässt.

Aktualisiert: 20.04.2022

Darstellung von einem Computer
metamorworks

Nahezu vier Millionen Menschen in Deutschland haben eine Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Die Fernüberwachung des Blutdrucks in ihrer Lungenarterie kann künftig vielleicht helfen, eine dramatische Verschlechterung der Herzfunktion (Dekompensation) frühzeitig zu erkennen. Erste Daten aus Telemedizin-Projekten stimmen zuversichtlich.

Bei Herzschwäche besteht das Risiko für akutes Herzversagen

Bei Herzinsuffizienz ist das Herz zu schwach, um ausreichend Blut durch den Körper zu pumpen und alle Organe mit genügend Sauerstoff und Energie zu versorgen. Die Lebensqualität ist je nach Ausmaß der Schwäche zum Teil hochgradig eingeschränkt. Besonders gefährlich wird die Situation für Patienten, wenn die Herzschwäche akut zunimmt. In der Fachsprache spricht man dann von Entgleisung oder Dekompensation, die in ein akutes Herzversagen münden kann. Diese Situation gilt es zu vermeiden und Warnsignale frühzeitig zu erkennen. Das ist aber leichter gesagt als getan.

Wann es zum Entgleisen der Herzschwäche kommt

Es ist nicht trivial, die Anzeichen für eine gefährliche Zunahme der Herzschwäche rechtzeitig zu erkennen und richtig zu deuten. Etwa die Hälfte der Betroffenen nimmt vor einer akuten Dekompensation gar keine Auffälligkeiten wahr, obwohl sich häufig über Tage oder sogar Wochen zuvor die Druckverhältnisse in den Herzkammern und im Lungenkreislauf bereits verändert haben. Dann reichen manchmal allerdings schon geringfügige Anlässe wie eine Erkältung, eine salzhaltige Mahlzeit oder ein vergessenes Herzmedikament, dass der Lungendruck akut steigt und sich Wasser im Lungengewebe sammelt – eine lebensbedrohliche Situation mit heftiger Atemnot und Todesangst entsteht.

Schutz durch Überwachung des Lungenarteriendrucks 

Der Anstieg des Blutdrucks speziell in den Lungenarterien ist ein sehr frühes Anzeichen für das Herannahen einer Dekompensation. Wird dieser Druckanstieg früh erkannt und rechtzeitig mit einer Anpassung der Medikamente gegengesteuert, lassen sich Notfallsituationen mit Krankenhausaufnahme gezielter verhindern. Das hat eine große europäische Studie gezeigt, und damit die Ergebnisse vorausgegangener US-amerikanischer Studien bestätigt. Doch wie lässt sich der Druck in der Lungenarterie überhaupt überwachen?

Ein Sensor in der Lungenarterie  

Zum Überwachen des Lungendrucks setzen Wissenschaftler auf einen speziellen Sensor, der in die Lungenarterie von Herzinsuffizienzpatienten eingesetzt wird. Er hat die Größe einer Büroklammer und ist batterielos. Die zugehörige Messstation ist in einem Kissen untergebracht, das die Patienten nach Hause mitbekommen. Wenn sich der Patient auf das Kissen legt, können die vom Sensor ermittelten Signale auswertet und die Messergebnisse  drahtlos per Knopfdruck auf eine sichere Website im Internet übertragen werden. Ärzte und Pflegepersonal nehmen regelmäßig Einsicht in die Datenbank, beurteilen die Messwerte und können zeitnah mit einer Therapieanpassung reagieren, wenn die Werte nicht in Ordnung sind.  

Darstellung des Drucksensors
© Abbott_2020 Der Sensor für die Lungenarterie ist klein wie eine Büroklammer mit zwei feinen Edelmetallflügeln. Diese sorgen dafür, dass der Sensor an der Gefäßwand fixiert wird, ohne den Blutfluss zu stören.

Studiendaten belegen Nutzen der Fernüberwachung 

Die Kontrolle mittels Sensor und Fernüberwachung durch ein medizinisches Team stellt besondere Anforderungen an die Mitarbeit der Patienten: Sie müssen täglich den Lungenarteriendruck via Internet an das Betreuungsteam übertragen und dessen Behandlungsempfehlungen zeitnah und vollständig umsetzen. Dass sich so gefährliche Situationen durch eine Dekompensation bei Patienten mit Herzschwäche sehr gut vermeiden lassen, hat eine im Jahr 2020 veröffentlichte Studie unter Leitung der Kardiologin Professor Dr. med. Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg zeigen können. Dabei erhielten 234 Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz (NYHA III) einen Sensor in die Lungenarterie eingesetzt. Das geschah im Rahmen einer normalen Rechtsherzkatheteruntersuchung. Ein Jahr lang wurden ihre Daten ausgewertet. „Die Sensor-Implantation ist nicht riskant. Das Risiko ist ähnlich wie bei einer Herzkatheteruntersuchung, die ja weltweit als Routineeingriff gilt“, erklärt Prof. Stefan Störk vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg, und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung.

Die wichtigsten Studienergebnisse im Überblick

  • Die Zahl der Krankenhauseinweisungen reduzierte sich im Vergleich zum Vorjahr um über 60 %.
  • Über 86 % der Patienten lebten noch. Die jährliche Sterblichkeit von 14 % war damit bei diesen Hochrisikopatienten relativ niedrig.
  • Bei rund 40 Prozent der Patienten bildet sich die schwersten Symptome der Herzschwäche zumindest teilweise zurück.
  • Depressive Symptome waren vermindert und der subjektive Gesundheitszustand war besser.
  • Bei 98 % der Patienten funktionierten Sensor und Messgerät problemlos.

Neue PASSPORT-Studie mit Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz

Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass mehr Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz von dieser telemedizinischen Betreuung profitieren könnten. Bisher übernehmen die Krankenkassen allerdings nur die Kosten für die Implantation des Sensors, nicht jedoch die anschließende Überwachung und Betreuung mit regelmäßiger Therapieanpassung durch speziell geschultes Pflegepersonal und Ärzte (außer unter Studienbedingungen). Damit das Verfahren in die Routine gelangen kann, verlangte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der darüber entscheidet, welche medizinischen Leistungen Versicherte beanspruchen können, weitere Studiendaten zum Erfolgsnachweis.

Eine solche Studie ist die PASSPORT-HF-Studie, die seit Anfang Oktober 2020 läuft. Die wissenschaftliche Leitung ist wieder in Deutschland angesiedelt, diesmal unter Professor Dr. med. Stefan Störk vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz. Er koordiniert dabei die Beobachtung von insgesamt 550 Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz (NYHA-Stadium III) an etwa 50 deutschen Standorten, die in den zwölf Monaten vor Studienbeginn zumindest einmal wegen Herzinsuffizienz im Krankenhaus waren. Die Patienten erhalten entweder den Sensor oder eine intensivierte Basisversorgung mit Telefonberatung. In zwei bis drei Jahren sollen erste Ergebnisse vorliegen. „Damit könnte die PASSPORT-Studie einen weiteren wichtigen Grundstein für kardiales Telemonitoring von Patienten mit Herzerkrankungen legen“, freut sich Prof. Störk.

Weiteres Telemedizinprojekt bei Herzinsuffizienz

Ein Expertenteam um Professor Dr. med. Friedrich Köhler vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité hat dort bereits ein Fernüberwachungs-Projekt für Patienten mit Herzinsuffizienz fest etabliert. Den Erfolgsnachweis dazu hat u.a. die im Jahr 2018 in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte „Fontane-Studie“ geliefert. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane“ waren dabei bundesweit 1538 Patienten mit chronischer Herzschwäche untersucht worden; die eine Hälfte war telemedizinisch mitbetreut, die andere Hälfte konventionell versorgt worden. Die Ergebnisse zeigten eindrucksvoll, dass die dabei praktizierte telemedizinische Versorgung bei den Hochrisikopatienten mit Herzschwäche die Lebenszeit verlängerte und die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten verringerte.

An der Charité erhalten die telemedizinisch betreuten Patienten vier Geräte: einen kleinen Elektrokardiografen (EKG) mit Fingerclip zur Messung der Sauerstoffsättigung, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet, um die Daten zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands einzugeben. Über das Tablet werden die Werte dann an das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité übertragen. Ärzte und Pflegekräfte sind nahezu 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche online, bewerten und befunden die Messwerte und schauen sich täglich die EKGs an. So zeigen sich Verschlechterungen wie Wassereinlagerungen, bevor die Patienten die ersten belastenden Symptome wahrnehmen und lebensbedrohliche Entwicklungen können frühzeitig bemerkt und rechtzeitig behandelt werden.

Um Patienten auf das Betreuungsprogramm vorzubereiten, schickt die Charité zudem eine „Pflegefachkraft Herzinsuffizienz“ bei ihnen zu Hause vorbei. Zu ihrer Aufgabe gehört es, die technische Ausrüstung zu den Betroffenen zu bringen, sie einzuweisen und auch ein richtiges Pflegeassessment durchzuführen. Dabei wird nach der körperlichen Verfassung des Patienten geschaut, nach dem sozialen Hintergrund und familiären Verhältnissen, um zu erfahren, welche Online-Ratschläge später Sinn ergeben und welche nicht.

Eine Lösung für alle Patienten mit Herzschwäche? 

Telemedizin-Projekte wie an der Charité und in Würzburg, die belegen, dass Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz länger leben und seltener ins Krankenhaus müssen, haben letztlich den Anstoß gegeben, dass seit Ende 2020 die lückenlose telemedizinische Betreuung von Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung (ab NYHA II) nun generell zum ambulanten Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen gehört. Bei diesem neuen Versorgungsansatz betreuen telemedizinische Zentren (TMZ) mit internistischer und kardiologischer Expertise und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gemeinsam die Patienten, deren Gesundheitsdaten kontinuierlich erfasst werden. So können Abweichungen z. B. bei der Herzfunktion schnell erkannt und die Therapie daraufhin angepasst werden. Die TMZ kümmern sich dabei im Regelfall um das Datenmanagement inklusive der technischen Ausstattung der Patientinnen und Patienten. Die niedergelassenen Ärzte entscheiden über die nötigen Therapiemaßnahmen.

Noch ist das Angebot von Telemedizinzentren nicht in der Fläche für Patienten nutzbar, auch wenn inzwischen Fragen zur Honorierung und genauen Aufgabenteilung bei Rundum-die-Uhr-Betreuung (24/7) der beteiligten Ärzte und Zentren geklärt wurden (Stand April 2022). Einige Krankenkassen haben zudem schon zuvor über sogenannte Selektivverträge die Möglichkeit einer telemedizinischen Betreuung von Patienten mit Herzschwäche angeboten. Insgesamt ist der Aufbau solcher TMZ vielerorts erst im Aufbau. 

„Die telemonitorisch unterstützte Betreuung von Patienten mit Herzschwäche ist innovativ und bietet sehr großes Potenzial für effizientere Patientenversorgung bei mindestens gleich guter Qualität. Das Telemonitoring selbst jedoch ist nicht die Therapie. Diese muss weiterhin von spezialisiertem Personal überwacht und angepasst werden. Der menschliche Faktor bleibt trotz technischem Fortschritt entscheidend“, lautet das Fazit von Prof. Störk.

Experte

Prof. Dr. med Stefan Störk
Bild von Prof. Störk

Jetzt spenden

Mediziner sitzt vorm Mikroskop
pressmaster - stock.adobe.com

Investieren Sie in die Herz-Forschung!

Forschung bringt Fortschritte – gerade in der Medizin. Deshalb legen wir großen Wert auf die Förderung patientennaher Forschungsprojekte. Dafür benötigen wir Ihre Unterstützung.

Interview

Bild von Prof. Angermann
Daniel Peter
Wie die Telemedizin, eine Verschlechterung der Herzschwäche rechtzeitig zu erkennen, erklärt Prof. Christiane Angermann im Interview mit HERZ heute.

Mehr erfahren

  1. Bewegung und Medikamente sind die wichtigsten Bausteine der Herzschwäche-Therapie. Informieren Sie sich ausführlich über Behandlungsmöglichkeiten.
  2. Regelmäßige Bewegung zeigt bei Herzschwäche große Wirkung. Erfahren Sie hier, worauf Patienten beim Training achten sollten.
  3. Was ist die Herzschwäche? Was kann ich mit Medikamenten erreichen? Diese und viele weitere Fragen beantwortet die Broschüre der Herzstiftung.