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Verwirrt nach Herzoperation – Was tun bei einem Delir?

Lange Operationen gehen oft mit Verwirrtheitszuständen einher, dem postoperativen Delir. Warum ist das so? Wie kann vorgebeugt werden? Lesen Sie mehr.

Seniorin liegt im Krankenhaus
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Ob Bypass-Operation am offenen Herzen oder eine neue, chirurgisch eingesetzte Herzklappe: Nicht nur Herz, Lunge und Gefäße müssen einen solchen Eingriff gut überstehen – auch das Gehirn! Denn Operationen, gerade wenn sie länger dauern, gehen gehäuft mit Verwirrtheitszuständen einher, dem postoperativen Delir.  

Was passiert bei einem Delir?

Das Gehirn des Menschen ist ein empfindliches Organ: 86 Milliarden Nervenzellen müssen koordiniert zusammenarbeiten. Unsere „Zentrale“ steuert Bewegungen, Denken, Aufmerksamkeit und Organfunktionen, lässt uns hören, sehen und fühlen. Eine Operation mit Vollnarkose schaltet jedoch Bewusstsein und Schmerzempfinden eine Zeitlang ab. Viele Funktionen gehen für Minuten bis Stunden in einen künstlichen Ruhemodus über.  

Das macht chirurgische Eingriffe in heutiger Qualität erst möglich. Die Kehrseite der Medaille: Nach der Operation kann dies Störungen von Gehirnfunktionen zur Folge haben. Das gilt besonders für Senioren, für mehrfach körperlich sowie nervlich Vorerkrankte, und dies wiederum besonders auch nach langwierigen Herzoperationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine.

Schätzungen gehen davon aus, dass in der Altersgruppe ab 65 Jahren bei fast jedem Dritten, der stationär versorgt werden muss, ein Delir-Problem besteht. Die gute Nachricht: In der medizinischen Praxis wird man sich dieses Problems zunehmend bewusst und kann dem als „postoperatives Delir“ bezeichneten Zustand mit verschiedenen Maßnahmen vorbeugen.  

Aus der Spur geraten: Was bedeutet der Begriff „Delir“?

Den Begriff „Delir“ mag mancher zunächst mit übermäßigem Alkoholgenuss in Verbindung bringen. Im wörtlichen Sinne „aus der Spur“ zu geraten (lat.: de lira; ire: aus der (Acker-) Furche geraten), kann aber die Folge ganz verschiedener Einwirkungen von außen sein. Operationen unter Vollnarkose gehören zu diesen Einwirkungen. Außer Vorerkrankten kann dies jeden auch sonst Gesunden treffen, der sich einer größeren Operation unterziehen muss. Denn auch wenn der Narkosearzt mit beruhigenden Worten mitteilt: „Wir lassen Sie jetzt mal ein wenig schlafen“, bevor er seine Medikamente gibt, hat die Narkose mit natürlichem Schlaf nicht viel zu tun.  

Und so stellen frisch Operierte kurz nach dem Eingriff oft fest: man ist noch nicht ganz da, die Aufmerksamkeit ist vermindert, Nachdenken ist schwierig, gegebenenfalls weiß man nicht, wo man sich befindet, was gerade passiert und welcher Tag ist. Manche Menschen halluzinieren, sehen oder hören Dinge, die nicht existieren, erkennen ihren Gegenüber nicht, fühlen sich womöglich sogar bedroht. Kurz gesagt: ein Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand.  

Ärzte sprechen auch vom „Durchgangssyndrom“ oder einem „akuten organischen Psychosyndrom“. Außenstehende, also zum Beispiel das Pflegepersonal oder Angehörige, die zu Besuch kommen, stellen beim Betroffenen Gedächtnisschwäche fest, Unruhe und einen verstärkten Bewegungsdrang bei zugleich verlängerten Reaktionszeiten. Es können Schlafstörungen bestehen mit Albträumen nachts und vermehrter Schläfrigkeit tagsüber oder emotionale Veränderungen wie Teilnahmslosigkeit, Ängstlichkeit, Reizbarkeit oder Depression. Körperliche Symptome sind ein unwillkürliches Muskelzittern (Tremor), Schwitzen und schnelles Herzklopfen.

Wie lange hält ein Delir-Zustand an?

Ein akutes postoperatives Delir hält in der Regel nur Stunden oder wenige Tage an, kann aber leider auch chronisch werden. Letzteres betrifft besonders vorerkrankte Menschen und wenn die Gehirnleistungen ohnehin schon eingeschränkt sind oder bereits eine Demenz besteht. Dies kann zu langfristiger Pflegedürftigkeit führen, außerdem ist die Sterblichkeit bei den Betroffenen dann erhöht.  

Um postoperative Delire frühzeitig erkennen und ihnen vorbeugen zu können, haben Vertreter von fünf medizinischen Fachgesellschaften – in erster Linie Nervenärzte und Altersmediziner – im Dezember 2023 Empfehlungen herausgegeben. In Kürze soll außerdem eine interdisziplinäre Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Prävention, Diagnostik und Therapie bei alten Menschen verabschiedet werden. Ähnliche Empfehlungen für den Bereich der Intensivmedizin existieren bereits.

Welche Risiko-Faktoren für ein Delir sind bekannt?

Nach den aktuellen Empfehlungen sollen grundsätzlich alle Menschen im Alter von über 65 Jahren, die in die Notaufnahme oder in ein Krankenhaus kommen, schon gleich bei der Aufnahme auf das Vorliegen von Wahrnehmungs- und Gedächtnisstörungen (kognitive Leistung) hin untersucht werden. Dafür stehen den Ärzte/dem Pflegepersonal verschiedene Testinstrumente zur Verfügung. Werden damit kognitive Störungen festgestellt, können dann Maßnahmen zur Delir-Prävention getroffen werden. Außerdem soll dann regelmäßig das sogenannte Delir-Screening wiederholt werden.

Neben diesem Risiko durch Alter und kognitive Störungen sind weitere prädisponierende Risikofaktoren bekannt, die ein aufmerksames Beobachten des weiteren Verlaufs erfordern. So gelten Patienten als gefährdet mit

  • sensorischen und funktionelle Beeinträchtigungen wie Schwerhörigkeit,
  • Multimorbidität,
  • Gebrechlichkeit (Frailty),
  • Schmerzen,
  • Depression,
  • stattgehabtem Schlaganfall,
  • einem früheren Delir sowie  
  • Einnahme psychotroper Medikamente und mit Alkoholabhängigkeit.

Auch eine Verweildauer von mehr als zehn Stunden in einer Notaufnahme geht mit einem deutlich erhöhten Risiko einher, dass Risikopatienten ein Delir entwickeln. 

Welche vorbeugenden Maßnahmen gegen ein postoperatives Delir gibt es?

Das Delir ist eine der häufigsten postoperativen Komplikationen bei älteren Menschen, wird aber in einem Drittel bis mehr als der Hälfte der Fälle übersehen. Die Häufigkeit ist abhängig vom Eingriff und der Länge der Operation. Operationen, die besonders häufig mit einem postoperativen Delir einhergehen, sind unfallchirurgische Eingriffe (z.B. nach schweren Knochenbrüchen) sowie Operationen am Herz-Kreislauf-System unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine. Letztere übernimmt für einige Zeit die Funktion von Herz und Lungen, damit die Herzchirurgen am offenen, blutleeren Herzen oder herznahen Gefäßen operieren können. Bei kardiovaskulären Operationen geht man davon aus, dass etwa jeder zweite Patienten betroffen ist. Neben einem bewussten frühzeitigen Erkennen gefährdeter Patienten, gibt es auch konkrete Handlungsmöglichkeiten im Rahmen von speziellen Programmen.  

Konzepte zur Delir-Prävention umfassen zum Beispiel: 

  • eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr vor und nach der Operation mit aktiver Unterstützung 
  • schonende Anästhesieverfahren mit Überwachung der Narkosetiefe, 
  • die möglichst frühe Mobilisierung, 
  • einen frühen Kostaufbau nach der Operation sowie  
  • flexible Besuchszeiten bzw. Rooming-In  

Bekannte Gesichter (Angehörige, Bezugspersonen), bekannte Gegenstände in Sichtweite des Patienten, Lektüre, Musik, kleine Wortspiele und geduldige, empathische Gespräche in einem ruhigen Umfeld wirken sich darüber hinaus günstig aus, um den postoperativen Verwirrtheitszustand schnell und gut zu überwinden. Außerdem müssen benötigte Seh- und Hörhilfen griffbereit zur Verfügung stehen. Wichtig sind auch eine optimale Schmerztherapie sowie eine gute Nachtruhe. Das fördert den Erhalt eines normalen Tag-Nacht-Rhythmus. Schließlich stehen noch medikamentöse Optionen zur Verfügung, um eine Reorientierung nach der Operation zu fördern.  

Wichtig ist auch, dass im Entlassungsbrief das eventuelle Auftreten eines Delirs erwähnt wird, so dass bei einem erneuten Krankenhausaufenthalt gleich schon Vorkehrungen getroffen werden können. Modellprojekte zum Delirmanagement in Deutschland wie in anderen Ländern haben inzwischen bewiesen, dass die Häufigkeit, der Schweregrad und die Dauer des Delirs so erfolgreich und teils deutlich reduziert werden können.

Forschung an individualisierten Narkosekonzepten 

Intensiv wird daran gearbeitet, Vollnarkosen durch individualisierte Anästhesiekonzepte verträglicher zu machen, eine Übersedierung (Sedierung = Dämpfung von Funktionen des zentralen Nervensystems durch ein Beruhigungsmittel) zu vermeiden und so auch ein postoperatives Delir zu vermeiden. Dazu wurden bereits zahlreiche Analgesie- und Sedierungsprotokolle entwickelt. Ein anderer Ansatz ist die Kontrolle der Gehirnfunktion und eine davon abhängige Verabreichung der Narkose. Ziel ist es, so das Unterdrücken bestimmter Wellen im Elektroenzephalogramm (EEG) zu vermeiden, da dies mit einer starken Tiefennarkose in Verbindung gebracht wird. 

In einer aktuellen Studie haben kanadische Forscher dieses Konzept bei über 1000 Erwachsenen ab 60 Jahren, die sich einer Herz-Operation unterziehen mussten, überprüft. Die Ergebnisse ergaben zwar keinen Unterschied bei der Häufigkeit, mit der ein postoperatives Delir auftrat – bei knapp jedem Fünften mit Verwendung einer EEG-gesteuerten Anästhesieverabreichung und auch mit Standard-Anästhesie war dies der Fall. Experten sehen allerdings nach wie vor Forschungsbedarf in diesem Bereich etwa zur Frage warum Patienten, die empfindlicher auf die Entwicklung einer EEG-Unterdrückung als Reaktion auf Anästhetika (Schmerz-ausschaltende Medikamente) reagieren, häufiger ein postoperatives Delir entwickeln.

  1. https://www.dgppn.de/aktuelles/news/empfehlungen-fuer-das-delir-und-demenz-screening-im-krankenhaus.html 
  2. S3-Leitlinie Delir im höheren Lebensalter (Anmeldung), geplante Fertigstellung: 7/2024 (www.awmf.org) 
  3. S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie), Version 5.0, Stand 2021 (www.awmf.org) 
  4. Rudy M, Saller T. Anaesthesiologie 2023; 72:459-466 
  5. Singler K, Thomas C. Internist 2017; 58:125-131 
  6. Wang YY JAMA Intern Med 2020; 180:17-25 
  7. Miles Berger, Mark Neumann; JAMA. 2024; 332(2):107-108. doi:10.1001/jama.2023.26819 

Unser Informationsmaterial

Die Patientenbroschüre, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und der Deutschen Herzstiftung, soll Herzpatienten dabei helfen, sich nach einer Herzoperation im Alltag zurechtzufinden.

Expertin

Prof. Dr. med. Angelika Costard-Jäckle
Prof. Dr. Costard-Jäckle

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    Johannes Albes

    Prof. Dr.

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