Die Journalistin und Moderatorin der WDR-Sendung „Frau tv“ Lisa Ortgies erlitt mit 51 Jahren einen Herzinfarkt. Nach der großen Erschütterung über die Erkrankung hat sie vieles in ihrem Leben auf den Kopf gestellt. Was das ist? Das lesen Sie hier im Interview mit der Deutschen Herzstiftung.
Herzstiftung: Frau Ortgies, Sie hatten bereits zwei schwere Herz-Erkrankungen. Zuerst das sogenannte Broken-Heart-Syndrom, später folgte ein Herzinfarkt. Als sie krank wurden, waren sie eine 51-jährige fitte Frau. Hätten Sie jemals gedacht, dass Sie zur Herz-Patientin werden?
Lisa Ortgies: Nein, im Leben nicht. Ich stellte mir einen Herz-Patienten ganz anders vor. Für mich waren das eher ältere Männer. Deshalb habe ich damals auch so lange gebraucht, um meine Symptome einzuordnen. Selbst, als ich schon im New Yorker Krankenhaus war, habe ich nur auf eine Magenverstimmung oder ein Kreislaufproblem getippt – und das, obwohl ich eindeutige Herzinfarkt-Symptome hatte. Nach der Diagnose war ich vollkommen perplex.
Den Warnschuss hat Ihr Herz ein Jahr vor dem Herzinfarkt mit dem Broken-Heart-Syndrom gegeben – einer Herzmuskel-Erkrankung, die durch Stress ausgelöst wird. Wie haben Sie das erlebt?
Die Symptome kamen im Familienurlaub in New York. Es war hektisch und unfassbar heiß in der Stadt. Wir wollten so viel wie möglich erleben, saßen schon früh morgens im Doppeldeckerbus, und vor lauter Erwartungen an den Urlaub folgte dann auch noch ein Familienstreit, den ja viele Menschen in den ersten Urlaubstagen erleben. Wir suchten nach dem perfekten Restaurant, stritten uns, und auf dem Weg zurück zum Hotel wurde mir übel. Mein ganzer Körper war in Aufruhr, so etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt. Dennoch schob ich es erstmal auf meine Wut. Dann kamen ein starkes Schwächegefühl und der sogenannte Vernichtungsschmerz dazu; also so große Schmerzen, dass ich panische Angst bekam. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr sprechen. Und obwohl die Schmerzen – typisch für einen Herzinfarkt – in den Arm ausstrahlten, haben mein Mann und ich nicht sofort den Notarzt gerufen, sondern die Symptome erst einmal gegoogelt. Als ich dann aber doch im Krankenhaus war, vermuteten die Ärzte erst einmal Sodbrennen. Keiner glaubte an ein Herzproblem, weil ich eben nicht dem Bild eines Herzpatienten entsprach. Selbst als die Diagnose Broken-Heart-Syndrom feststand und klar war, dass ich eine Verengung in einem Herzkranzgefäß hatte, glaubte ich, dass die Ärzte beim Bluttest mein Blut verwechselt hatten.
Infokasten: Was ist das Broken-Heart-Syndrom?
Das Broken-Heart-Syndrom, auch Tako-Tsubo-Syndrom genannt, ist eine plötzlich auftretende Herzerkrankung, die vor allem durch emotionalen Stress – sowohl negativ als auch positiv – ausgelöst wird. Die Krankheit tritt sehr selten auf. Frauen erkranken häufiger als Männer. Beim Broken-Heart-Syndrom lässt die Pumpleistung des Herzens akut nach, es kommt zu einer lebensbedrohlichen Situation. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts, es liegt allerdings kein Verschluss eines Herzkranzgefäßes vor. Da das Broken-Heart-Syndrom noch nicht gänzlich erforscht ist, gibt es noch keine spezielle Therapie, die Patientinnen und Patienten werden mit der Standardtherapie für Herzinfarkt behandelt. Nach einer Herzkatheteruntersuchung werden sie zunächst auf der Intensivstation überwacht. Darüber hinaus erhalten sie Medikamente, die die Herzbelastung reduzieren.
Dass nicht nur die Patientinnen selbst, sondern auch Ärztinnen und Ärzte Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen fehldeuten, ist bekannt. Was muss sich hier Ihrer Meinung nach ändern?
Ärztinnen und Ärzte sollten die Herzinfarkt-Symptome von Männern nicht als Standard ansehen, denn sie unterscheiden sich zum Teil deutlich von denen der Frauen. Leider basieren Forschung und Behandlung immer noch auf Studien, an denen nur oder hauptsächlich Männer teilgenommen haben. Unsere Medizin ist also stark auf die Gesundheit der Männer ausgerichtet. Das muss sich ändern.
Was sind typische Herzinfarkt-Symptome bei Frauen?
Der Herzinfarkt gehört auch bei Frauen zu den häufigsten Todesursachen. Häufig tritt er allerdings erst in den höheren Lebensjahren auf, weil Frauen vor den Wechseljahren von einem schützenden Effekt der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene) profitieren. Die Symptome sind bei Frauen häufig weniger spezifisch als bei Männern, was dazu führt, dass ein Herzinfarkt häufig nicht rechtzeitig erkannt wird. Der klassische Brustschmerz kann beispielsweise fehlen. Frauen berichten oft von einem Druck- oder Engegefühl in der Brust. Weitere Symptome können auch Atemnot, Schweißausbrüche, unerklärliche Müdigkeit oder Übelkeit sein. Mehr erfahren Sie hier.
Denken Sie, dass es bereits vor dem Broken-Heart-Syndrom Warnzeichen gab, die Sie rückblickend betrachtet nicht wahr- oder ernstgenommen haben?
Vordergründig fühlte ich mich gesund. Allerdings hatte ich sehr viel Stress. Viele Projekte standen an und ich arbeitete bis zum Anschlag. Gleichzeitig händelte ich den Alltag mit zwei Kindern und managte unseren Haushalt. Ich hielt also sehr viele Bälle gleichzeitig in der Luft. Im Nachhinein betrachtet, wurde ich von all diesen äußeren Umständen durchs Leben gepeitscht und saß selbst nicht mehr am Steuer. Ich wollte eigentlich abschalten und dafür ist New York im Sommer nicht die richtige Wahl. Heute weiß ich, dass der Vorfall in New York das ultimative Warnsignal meines Körpers war, etwas zu ändern. Aber selbst nach dieser heftigen Erfahrung habe ich den Ernst der Lage noch nicht erkannt.
Und ein Jahr später folgte der Herzinfarkt.
Genau. Ich hatte zwar einigen Druck aus dem Job genommen, aber habe selbst nach dem Vorfall in New York noch nicht realisiert, dass ich etwas ganz Grundlegendes ändern muss. Ich habe verdrängt, dass das Broken-Heart-Syndrom ein ernster Hilferuf meines Körpers war. Ich habe die Erschütterung, den Schmerz, die Trauer und auch die Wut darüber nicht zugelassen. Und bald hatte mich mein Alltag wieder. Wie wichtig aber das Zusammenspiel zwischen Körper und Seele ist, habe ich lange nicht begriffen und dem auch nicht die nötige Priorität geschenkt. Jahrzehntelange hatte ich durch die Kindererziehung und den Job einfach das Gefühl, ich müsse meinen Alltag abarbeiten.
Risikofaktoren für einen Herzinfarkt im Überblick
Ursache für einen Herzinfarkt ist häufig die sogenannte Koronare Herzkrankheit (KHK), bei der es zu einer Einengung der Herzkranzgefäße kommt. Dadurch wird das Herz nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die KHK wird durch bestimmte Risikofaktoren begünstigt. Es kann zwar eine genetische Disposition geben, die wichtigsten Auslöser der Erkrankung können Patientinnen und Patienten aber selbst beeinflussen. Wer erhöhte Blutfettwerte, Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht hat, hat ein höheres Herzinfarkt-Risiko. Auch Bewegungsmangel und Stress erhöhen die Wahrscheinlichkeit. Wer etwas für sein Herz tun möchte, sollte also seinen Lebensstil gesund gestalten und auf eine ausgewogene Ernährung achten.
So wie Ihnen geht es leider vielen Frauen. Sie nehmen Symptome nicht ernst und zögern sogar häufig länger, den Notruf zu wählen. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Ich denke, das hat viel mit der weiblichen Sozialisation zu tun. Frauen können sich oft nur schwer abgrenzen. Wir haben von klein auf gelernt, uns verantwortlich zu fühlen, immer hilfsbereit und ansprechbar zu sein. Die Care-Arbeit, die wir zusätzlich zu unseren Jobs leisten, ist schwer messbar und wird deshalb von der Gesellschaft häufig weder gesehen noch wertgeschätzt. Krank sein durch Stress wird auch heute noch vor allem Männern zugestanden, nicht Frauen. Es heißt nicht ohne Grund Managerkrankheit und nicht Managerinnenkrankheit. Hinzukommt, dass wir Frauen unsere Belastung selbst nicht anerkennen und ernstnehmen. Heute bin ich überzeugt, dass es mir ebenfalls so ging und dieser Umstand die Entstehung des Herzinfarkts begünstigt hat. Es war, als ob mir mein Herz ein zweites Mal sagen wollte: Du hast es leider immer noch nicht verstanden.
Wie haben Sie den Herzinfarkt erlebt?
Ich kam von einem Kochkurs, hatte mich dort nicht richtig wohl gefühlt, aber an die Situation angepasst. Zuhause fühlte ich mich dann angestrengt, und die Symptome begannen. Erst blieb mir der Atem weg. Es fühlte sich so an, als hätte mich jemand von hinten gepackt und die Kehle zugedrückt. Dazu kam ein sehr starker Brustschmerz und die Panik, die ich vom ersten Vorfall schon kannte. Dann sackten mir die Beine weg. Mein Mann rief dann den Notruf. Im Gegensatz zum ersten Mal war da sofort mir klar, dass es wieder das Herz war.
Was passierte im Krankenhaus und danach?
Als die Diagnose Herzinfarkt feststand, bekam ich zwei Stents in das betroffene Herzkranzgefäß gesetzt. Obwohl ich mich relativ schnell nach dem Eingriff besser fühlte, begann ich sofort mit dem Grübeln. Ich konnte nicht fassen, dass ich schon wieder in einer solchen Situation war. Nach zwei Tagen konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Da ich nach dem Herzinfarkt recht genau spürte, woran ich arbeiten muss – nämlich an meinem psychosozialen Stress-Level – habe ich mir therapeutische Hilfe gesucht. Mir war es wichtig, Körperwahrnehmung zu erlernen und mich mit jemandem darüber auszutauschen, wie ich zukünftig in meinem Leben Grenzen setzen kann. Nach einiger Zeit habe ich noch mal die Hilfe einer Tagesklinik in Anspruch genommen, um zu lernen, meinem Körper wieder zu vertrauen.
Haben Sie es geschafft?
Wenn das Herz einmal so gekränkt war – im wahrsten Sinne des Wortes – bleibt es immer auch eine Sollbruchstelle. Und natürlich habe ich auch immer mal wieder Angst, dass mein Herz mir nochmal einen Schuss vor den Bug gibt. Ich sehe mein Herz heute aber dennoch nicht als Gegner: Es ist wie ein beständiger Freund für mich, der auch mal Klartext redet. Auch heute meldet es sich manchmal mit Herzrasen oder Herzklopfen. Dann halte ich inne, lasse den Tag Revue passieren und überlege, an welcher Stelle ich meinem Körper und meiner Seele zu viel zugemutet haben könnte. Ich habe angefangen, mich selbst neu kennenzulernen, Signale besser zu deuten und Gefühle nicht mehr wegzudrücken. Ich gehe nun viel bewusster mit mir um und schütze mich vor Anspannung und Stress. Das bedeutet häufig auch, sich einfach mal gegen etwas zu entscheiden – gegen einen Job, gegen ein Treffen oder gegen eine bestimmte Situation. Und auch Mütter dürfen Grenzen setzen; auch gegenüber ihren Kindern.
Wie haben Sie Ihren Alltag nach dem Herzinfarkt verändert?
Ich versuche, den Alltag bewusster zu gestalten. Beispielsweise nehme ich mir gezielt Zeit, um länger mit Freundinnen zu telefonieren, was ich auch wunderbar mit einem Spaziergang verbinden kann. Und ich achte seit dem Herzinfarkt auch nochmal stärker auf genügend Bewegung in meinem Leben. Darüber hinaus hilft es mir zu meditieren.
Was möchten Sie anderen betroffenen Frau mit auf den Weg geben?
Dass sie Seele und Gefühle nicht nachrangig behandeln und erkennen, dass sie einen großen Einfluss auf unsere körperliche Gesundheit haben. Außerdem wünsche ich mir, dass Frauen vor sich selbst anerkennen, was sie tagtäglich leisten. Daraus entsteht dann hoffentlich auch der Mut, einfach mal Nein zu sagen.
Das Interview führte Sandra Arens i.A. für die Deutsche Herzstiftung
Tipps zur Vorbeugung
Ein Broken-Heart-Syndrom kann jeden ereilen. Nicht die klassischen Herzinfarkt-Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Diabetes oder Bewegungsmangeln spielen eine Rolle, sondern emotionaler Stress. Eine sinnvolle Prävention sind Entspannungstechniken wie Meditation, progressive Muskelentspannung, Atemtherapie oder auch Yoga. Wichtig ist es, Stress-Momente im Alltag zu erkennen und geeignete Strategien zu entwickeln, die diesen Stress reduzieren. Um sich vor einem Herzinfarkt zu schützen, ist es vor allem empfehlenswert, den eigenen Lebensstil kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wer in Maßen oder gar kein Alkohol trinkt, Sport treibt, nicht raucht und sich ausgewogen ernährt, beugt am gezieltesten vor.
Expertin
Prof. Dr. med. Christiane P. Tiefenbacher, Mitglied im Vorstand der Deutschen Herzstiftung e.V. und Chefärztin der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie, Wesel. Schwerpunkte: Vaskuläre Forschung: endotheliale Dysfunktion, Mikrozirkulation, Angiogenese, Klinische Forschung zur pAVK, KHK, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern, seit 2008 Mitglied im Wiss. Beirat der Deutschen Herzstiftung.
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