Die Schilddrüse ist ein kleines, aber äußerst wirkmächtiges Organ: Sie produziert Substanzen, die den kompletten Organismus beeinflussen – die Schilddrüsenhormone. Praktisch alle Zellen des Körpers stehen unter der Regie dieser chemischen Botenstoffe. Besonders ausgeprägt sind die Effekte der Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) auf Herz und Kreislauf, deren zentrale Steuerung durch das Gehirn erfolgt. Beide Hormone sind unerlässlich für den Stoffwechsel des Körpers und wahre Multiplayer.
Schilddrüsenhormone
- regulieren den Energieverbrauch,
- sind wichtig für das Aufrechterhalten der Körpertemperatur,
- regulieren Blutdruck und Cholesterinspiegel,
- bestimmen die Funktionen des Gehirns und der Muskeln,
spielen entscheidend mit bei Wachstum und Entwicklung und noch vieles mehr.
Die Schilddrüse: klein, aber wirkmächtig
Mit gerade einmal 20 bis 30 Gramm ist die Schilddrüse ein Leichtgewicht unter den Organen unseres Körpers. Kaum daumengroß liegt sie wie ein Schild unterhalb des Kehlkopfs. Ihre beiden mit einer Gewebebrücke verbundenen Seitenlappen umspannen die Luftröhre in der Form eines Schmetterlings. Daher spricht man häufig auch von der „Schmetterlingsdrüse“
Was passiert, wenn die Schilddrüse nicht richtig arbeitet?
Das Herz ist ein wesentliches Zielorgan der Schilddrüsenhormone: Ihre Botenstoffe regulieren die Kraft des Herzens, die Herzschlagfolge (Herzfrequenz) und das zirkulierende Blutvolumen. Eine Funktionsstörung der Schilddrüse wirkt sich deshalb immer auch auf Herz und Kreislauf aus. Obwohl bei einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems stets an die Schilddrüse gedacht werden muss, wird die Diagnose oft erst mit Verspätung und als Zufallsbefund gestellt.
Vor allem eine Überfunktion der Schilddrüse– eine sogenannte Hyperthyreose –, bei der zu viele Hormone (T3 /T 4) ausgeschüttet werden, geht mit Herz-Kreislauf-Beschwerden einher. Typische Anzeichen sind etwa:
- Herzrasen oder Herzstolpern,
- Zittern,
- Nervosität und Unruhe,
- Gewichtsabnahme oder
- ein erhöhter Blutdruck.
Von einer solchen Überfunktion der Schilddrüse ist etwa 1 unter 100 Personen betroffen. Jüngere Menschen reagieren meist stärker auf ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen. Bei älteren Menschen sind hingegen die Zeichen einer Hyperthyreose nicht selten abgeschwächt; die Neudiagnose von Vorhofflimmern oder eine Abnahme des Körpergewichtes können dann die einzigen Symptome sein, die auf diese Funktionsstörung der Schilddrüse hinweisen. Diese kann nochmals in eine manifeste oder latente Form unterteilt werden.
Eine manifeste Hyperthyreose ist dringend behandlungsbedürftig, in der Regel mit Medikamenten, welche die Bildung der Schilddrüsenhormone hemmen, sogenannte Thyreostatika (etwa Thiamazol und Carbimazol). Eine weitere Behandlungsmöglichkeit der manifesten Hyperthyreose ist die „Radiojodtherapie“, bei der überaktive Schilddrüsenzellen einem programmierten Zelltod zugeführt werden. Bei komplizierten Formen der Hyperthyreose wird die Schilddrüse operativ entfernt.
Im Gegensatz dazu treten bei der latenten Form einer Überfunktion meist keine eindeutigen Beschwerden auf, sie wird daher oft übersehen. Allerdings ist damit recht häufig auch das Auftreten von Vorhofflimmern verbunden – nur wird dann zu selten an die Schilddrüse aus Ursache gedacht.
Komplexer Steuerungsmechanismus
In unserem Gehirn sitzt die kirschkerngroße Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die wiederum eng mit dem Hypothalamus verbunden ist, einem Areal im Zwischenhirn. Beide zusammen regeln über Steuerhormone die Funktion aller Hormondrüsen. Für die Schilddrüse zuständig ist das vom Hypothalamus gebildete Steuerhormon TRH (Thyreotropin Releasing Hormone). Es gelangt in die Hypophyse und veranlasst sie dazu, ein weiteres Hormon zu produzieren: das schilddrüsenstimulierende Hormon TSH. Mit dem Blut gelangt TSH in die Schilddrüse und beauftragt deren Zellen, die Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) zu bilden. Herzmuskelzellen sind hauptsächlich auf T3 angewiesen
Zeichen einer Unterfunktion
Bei einer Unterfunktion, einer Hypothyreose, schüttet die Schilddrüse wiederum zu wenig Hormone aus. Dann kommt es zu eher uncharakteristischen Allgemeinsymptomen. Typische Anzeichen sind etwa:
- Leistungsschwäche,
- Müdigkeit,
- Kälteempfindlichkeit,
- Haarausfall,
- niedriger Puls,
- Gewichtszunahme,
- Verstopfung oder
- depressiven Verstimmungen.
Eine Schilddrüsenunterfunktion lässt sich durch Tabletten mit Schilddrüsenhormonen ausgleichen.
WICHTIG
Bei allen Störungen und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sollte immer auch an einen möglichen Zusammenhang mit der Schilddrüse gedacht werden. Ab dem 65. Lebensjahr und wenn bereits Herzrhythmusstörungen bestehen, sollte zum Beispiel insbesondere der TSH-Wert bestimmt werden. Bei einem erhöhten TSH-Wert über 10 mU/l besteht Verdacht auf eine Unterfunktion. Dauerhaft erniedrigte Werte sind wiederum ein Hinweis auf eine mögliche Schilddrüsenüberfunktion. Gerade bei Patienten mit Vorhofflimmern wirkt sich eine zusätzliche Hyperthyreose negativ aufs Herz aus. (1)
Herzmedikamente: Nebenwirkungen auf die Schilddrüse
Bei Patienten mit Herzerkrankungen ist das Medikament Amiodaron nicht selten der Grund für eine Funktionsstörung der Schilddrüse. Amiodaron ist der am häufigsten eingesetzte und effektivste Arzneistoff, um Herzrhythmusstörungen zu behandeln, die mit einer schnellen Herzschlagfolge einhergehen (tachykarde Herzrhythmusstörung). Bei 20 bis 25 Prozent der länger mit Amiodaron behandelten Patienten kann das Medikament jedoch aufgrund seines hohen Jodgehalts die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigen. Es kann – abhängig von der geografischen Lage (Jodversorgung) zu einer Unterfunktion oder Überfunktion kommen.
Allerdings sind bei einer von Amiodaron ausgelösten Hyperthyreose die typischen Zeichen der Überfunktion oft abgeschwächt oder gar nicht vorhanden. Bei einer Blutuntersuchung fallen dann allerdings erniedrigte Werte des Steuerhormons TSH und deutlich erhöhte Werte des Schilddrüsenhormons T3 auf, oft fünffach über den oberen Grenzwert hinaus. Schilddrüsennebenwirkungen sind unter einer Therapie mit dem Herzrhythmusmedikament Amiodaron so häufig, dass eine regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenfunktion vor und während der Amiodaron-Therapie zwingend erforderlich ist.
Eine gefürchtete Nebenwirkung ist – wenn sie unentdeckt und unbehandelt bleibt – die Amiodaron-induzierte Thyreotoxikose (AIT), ein durch die Funktionsstörung der Schilddrüse verursachtes Entgleisen des Stoffwechsels. Sie beruht auf zwei unterschiedlichen Mechanismen; hinsichtlich der Behandlung muss deshalb zwischen einer AIT vom Typ 1 und einer AIT vom Typ 2 unterschieden werden.
Die AIT Typ 1 geht einher mit einer vermehrten Bildung von Schilddrüsenhormonen, die Beschwerden treten meist früh auf. Die Betroffenen leiden zudem meist bereits schon vor Beginn der Amiodaron-Einnahme an einer Schilddrüsenerkrankung, etwa an einem Morbus Basedow oder an einer sogenannten Schilddrüsenautonomie. Bei derart vorbelasteten Patienten kann der hohe Jodgehalt des Medikaments dann eine Überfunktion der Schilddrüse provozieren. Bei Personen hingegen, bei denen keine Vorerkrankung der Schilddrüse besteht, verändern sich die Schilddrüsenwerte unter einer Behandlung mit Amiodaron in der Regel nur geringgradig; die Funktion der Schilddrüse bleibt letztlich normal. Bei einer AIT Typ 1 ist es erforderlich, Amiodaron abzusetzen. Zusätzlich erfolgt eine medikamentöse Therapie mit Thyreostatika.
Die AIT vom Typ 2 tritt spät, meist Monate nach Beginn der Amiodaron-Therapie auf. Das Medikament schädigt die Zellen der Schilddrüse unmittelbar, es kommt zu einer zerstörerischen Entzündungsreaktion (destruktive Thyreoiditis). Infolgedessen werden Schilddrüsenhormone unkontrolliert freigesetzt. Eine AIT vom Typ 2 wird mit Glukokortikoiden (entzündungshemmenden Medikamenten), behandelt. Nicht selten muss bei unzureichendem Therapierfolg dann die Schilddrüse operativ entfernt werden (Thyreoidektomie). Danach kann jedoch die Behandlung mit dem Rhythmusmedikament Amiodaron fortgeführt werden.
Achtung auch bei diesen Medikamenten
Neben Amiodaron gibt es noch weitere Herzmedikamente, deren Wirkung bei einer Schilddrüsenerkrankung bedacht werden sollte. So können zum Beispiel die beiden Wirkstoffe Chinidin und Digitoxin die Wirkung von Schilddrüsenhormonen auf das Herz verstärken und so etwa Rhythmusstörungen verstärken.
Betablocker können hingegen eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) verschleiern. Werden Betablocker zum Beispiel bei einer nicht bekannten Schilddrüsenüberfunktion dann abrupt abgesetzt, können plötzliche Herzrhythmusstörungen die Folge sein. Andererseits werden Betablocker aufgrund ihrer hemmenden Wirkung auf Schilddrüsenhormone auch gezielt eingesetzt zur Behandlung der Folgen einer Schilddrüsenüberfunktion auf das Herz-Kreislaufsystem.
Experte
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
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1) https://register.awmf.org/assets/guidelines/053-046p2-a4_S2k_Erhoehter-TSH-Wert-in-der-Hausarztpraxis_2023-04.pdf