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Neue ärztliche Leitlinie zu Vorhofflimmern – wichtige Fakten

Frühe Rhythmuskontrolle und frühzeitige Ablation sollen dazu beitragen, dass ein gelegentliches Vorhofflimmern nicht zur Dauererscheinung wird.

Vorhofflimmern ist nicht nur die häufigste Form anhaltender Herzrhythmusstörungen, sondern auch eine Arrhythmie, die mit einer erheblichen Sterblichkeit und oftmals einer Einschränkung der Lebensqualität verbunden ist. Seit Mai 2025 gibt es nun erstmals für Deutschland eine ärztliche (S3-)Leitlinie zu Vorhofflimmern. Diese enthält praxisnahe Empfehlungen, die nach strenger Prüfung von 15 Fachgesellschaften herausgegeben wurden, unter Leitung von Prof. Stephan Willems und Prof. Lars Eckardt als den beiden von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie bestimmten Koordinatoren. Wir stellen die wichtigsten Empfehlungen vor.

Empfehlungen im Überblick:

Die Möglichkeiten, Vorhofflimmern festzustellen, sind mit neuen technischen Geräten gewachsen. Die klinische Konsequenz daraus muss gerade bei sehr kurzen, seltenen Episoden daher sorgfältig abgewogen werden. 

  • Die Diagnosestellung soll bei Vorhofflimmern durch ärztliche Interpretation eines EKG von ausreichender Qualität erfolgen. 
  • Klinisches Vorhofflimmern liegt vor bei Nachweis im 12-Kanal-EKG oder 1-Kanal-EKG über mindestens 30 Sekunden.
  • Subklinisches Vorhofflimmern liegt vor, wenn die Rhythmusstörungen bislang nicht im EKG nachweisbar waren, sondern durch implantierte Geräte oder durch Wearables/Smartwatches erfasst wurden.
  • Ein generelles Screening auf Vorhofflimmern mit Geräten, die ein kontinuierliches Monitoring ermöglichen (z. B. Smartwatches/ Wearables), wird zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen, weil die therapeutischen Konsequenzen unklar sind.
  • Um bislang unerkanntes Vorhofflimmern mit hoher Vorhofflimmern-Last zu erkennen, sollten Menschen im Alter ab 75 Jahren und/oder mit erhöhtem Schlaganfallrisiko ein mindestens einmaliges EKG empfohlen werden.
  • Alle Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern sollen eine transthorakale Echokardiographie erhalten, um weitere Herzschäden zu erkennen.

Das Risiko für thromboembolische Ereignisse, insbesondere Schlaganfälle, ist bei Patienten mit Vorhofflimmern etwa 4-5-fach erhöht. Daher hat der Schutz vor diesen Ereignissen durch eine Gerinnungshemmung einen hohen Stellenwert in der Therapie.

  • Basis der Entscheidung ist der sogenannte CHA2DS2-VA Score. Bei einem ermittelten CHA2DS2-VA Score von ≥2 soll eine orale Antikoagulation empfohlen werden, bei einem Score von 1 sollte eine solche Therapie zumindest als Option geprüft werden.
  • Auch das individuelle Blutungsrisiko sollte ermittelt werden. Die Therapieentscheidung für oder gegen eine gerinnungshemmende Medikation treffen dann Arzt und Patient gemeinsam (Prinzip des "shared decision-making").
  • Die Wahl des geeigneten Blutverdünners wird relativ offengehalten. Es wird auf eine individuelle Entscheidung verwiesen – also ob eine Substanz aus der Gruppe der NOAK (Beispiel: Apixaban, Rivaroxaban) oder ein Vitamin-K-Antagonist (Phenprocoumon) verordnet wird.

Die Leitlinie betont die Bedeutung einer frühen Rhythmuskontrolle bei neudiagnostiziertem Vorhofflimmern (kürzer als 1 Jahr bestehend) - auch bei asymptomatischen Patienten. Daraus resultieren verschiedene Empfehlungen. 

  • Bei allen Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern soll zumindest geprüft werden, ob eine Rhythmuskontrolle erfolgen soll. Daraus resultiert nicht in jedem Fall auch eine entsprechende Therapie.
  • Eine frühe Rhythmuskontrolle sollte unabhängig von Beschwerden jedoch vor allem bei Patienten mit Vorhofflimmern und relevanten kardiovaskulären Risikofaktoren, höherem Lebensalter oder Komorbiditäten (CHA2DS2-VA Score ≥2) empfohlen werden. Das gilt ebenfalls für Patienten mit Herzschwäche und Vorhofflimmern-induzierter Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung).
  • Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung sollte im Falle einer medikamentösen antiarrhythmischen Therapie primär ein Klasse IC-Antiarrhythmikum (Flecainid, Propafenon) empfohlen werden. Bei strukturell herzgesunden Patienten kann eine "pill-in-the-pocket"-Therapie mit Klasse-IC Antiarrhythmika zur Konversion von gelegentlich auftretenden symptomatischen Vorhofflimmern-Episoden erfolgen.
  • Eine langfristige Therapie mit dem Antiarrhythmikum Amiodaron sollte vermieden werden.
  • Bei asymptomatischen Patienten, bei denen das Vorhofflimmern allerdings bereits seit mindestens zwei Jahren anhält und erweiterte (dilatierte) Vorhöfe bestehen, wird eine Rhythmuskontrolle nicht empfohlen. Stattdessen sollte eine Frequenzkontrolle (< 110Schläge/min) erfolgen (z.B. mit einem Betablocker).

Aufgrund von Studiendaten empfehlen die Leitlinienexperten für einige Patienten inzwischen eine frühe Katheterablation ohne zuvor eine Medikation mit Antiarrhythmika verordnet zu haben. Daraus resultieren diese Empfehlungen:

  • Bei jüngeren Patienten mit symptomatischem Vorhofflimmern ohne relevante Begleiterkrankungen (und Indikation für eine rhythmuserhaltende Therapie) sollte eine frühe Katheterablation als Erstlinienbehandlung empfohlen werden. Ziel ist, so die Zahl der Vorhofflimmern-Episoden und von Krankenhausaufenthalten zu reduzieren.
  • Eine Katheterablation sollte zudem Patienten mit paroxysmalem (unregelmäßig auftretendem) Vorhofflimmern und Indikation zu einer rhythmuskontrollierenden Therapie empfohlen werden, um das Fortschreiten zu einem persistierenden (anhaltendenden) Vorhofflimmern zu verhindern. Da der Übergang oft fließend ist, wird bei der Einteilung der Stadien in der deutschen Leitlinie nicht mehr so strikt zwischen diesen beiden Formen differenziert.
  • Bei Patienten mit symptomatischem, anhaltendem (persistierendem) Vorhofflimmern bleibt die S3-Leitlinie etwas zurückhaltender, empfiehlt aber die Katheterablation nach Nutzen-Risiko-Abwägung auf der Basis einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient (sog. shared decision).

Die neue Leitlinie legt Wert auf evidenzbasierte Maßnahmen zur Primärprävention, um die Inzidenz von Vorhofflimmern zu senken. Lebensstilbezogene Empfehlungen (z.B. Gewichtsmanagement, Bewegung, Alkoholreduktion) werden explizit hervorgehoben.

  • Patienten sollen zu den vorteilhaften Effekten einer regelmäßigen moderaten körperlichen Aktivität auf die Rhythmusstörung beraten werden. Besonders Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern sowie Angst vor körperlicher Aktivität soll ein strukturiertes Training (z.B. Herzsportgruppe) empfohlen werden.
  • Patienten mit Vorhofflimmern soll empfohlen werden, auf Tabakkonsum zu verzichten.
  • Patienten mit Vorhofflimmern sollen hinsichtlich des Konsums von Alkohol zu den negativen Auswirkungen auf den Verlauf der Rhythmusstörung beraten werden. Es soll empfohlen werden, die Grenzen des „risikoarmen Alkoholkonsums“ nicht zu überschreiten (pro Tag nicht mehr als 20 g reinen Alkohols für Männer, das sind ca. ein halber Liter Bier oder 0,2 l Wein, bzw. 10 g reinen Alkohols für Frauen und mind. 2 alkoholfreie Tage pro Woche). 
  • Kleiner Trost: Die wenigen Daten zu gewohnheitsmäßigem Koffein-Konsum sprechen gegen einen Zusammenhang von Koffein und Vorhofflimmern.

Was ist eine S3-Leitlinie?

Eine S3-Leitlinie ist eine systematisch entwickelte Entscheidungshilfe für eine angemessene ärztliche Vorgehensweise. Sie wird nach hohen wissenschaftlichen Standards unabhängig erstellt und gibt Ärztinnen, Ärzten und anderen Fachleuten klare und aktuelle Handlungsempfehlungen mit unterschiedlicher Graduierung (z.B. soll, sollte, kann erwogen werden) für die Behandlung und Versorgung bei einer bestimmten Erkrankung an die Hand. Ob er diesen Empfehlungen folgt oder nicht, entscheidet allerdings jeder Arzt unter Berücksichtigung der individuellen Situation. 

Das Besondere an einer S3-Leitlinie ist, dass sie auf zwei wichtigen Säulen beruht:

  • Sie basiert auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Studien (evidenzbasiert).
  • Sie wird von einem Expertengremium gemeinsam erarbeitet, das unterschiedliche Meinungen diskutiert und einen breiten Konsens findet (konsensbasiert).

Für Patientinnen und Patienten bedeutet das: Die Empfehlungen in einer S3-Leitlinie sind besonders verlässlich und aktuell. Sie helfen dabei, dass alle Betroffenen – egal ob im Krankenhaus oder in der Arztpraxis – nach den besten und sichersten Methoden behandelt werden. 

Experte

Prof. Dr. med. Stephan Willems
Portrait von Prof. Stephan Willems

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  1. Nur jeder zweite Betroffene spürt Symptome. Eine Behandlung ist wichtig, um das Schlaganfallrisiko zu senken.
  2. Insbesondere wenn Vorhofflimmern nur gelegentlich auftritt, kann eine Smartwatch bei der Diagnose der Herzrhythmusstörung unterstützen.
  3. Welche Behandlungen sind bei Vorhofflimmern tatsächlich zu empfehlen? Wer ist gefährdet? Das und vieles mehr beantwortet der Herzstiftungs-Ratgeber.