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Neuer Therapieansatz bei KHK und Atherosklerose entdeckt

Das Signalprotein CXCL14 aus Blutplättchen begünstigt offenbar Gefäßentzündungen. Es zu hemmen, könnte die Herzmedizin verbessern.

Team-Prof-Rath
© Universitätsklinikum Tübingen Das Team der Forschungsgruppe (v.l.): Madhumita Chatterjee, PHD; Dr. med. Dr. med. univ. Dominik Rath, PD; Dr. med. Monika Zdanyte; Dr. med. Patrick Groga-Bada

Mit Unterstützung der Herzstiftung fand ein Team um Professor Dr. Dominik Rath aus der Kardiologie am Universitätsklinikum Tübingen wertvolle Hinweise darauf, wie ein von aktivierten Blutplättchen (Thrombozyten) freigesetzter Botenstoff bei koronarer Herzerkrankung (KHK) auf Gefäße und Herzmuskelgewebe wirkt. Womöglich begünstigt danach das Signalprotein CXCL14, ein sogenanntes Chemokin, das Fortschreiten der Erkrankung und beeinträchtigt die Erholung des Herzmuskels nach einem Myokardinfarkt. Die Forschungsergebnisse wecken die Hoffnung, dass die Erkenntnisse daraus in Zukunft die Behandlung herzkranker Menschen verbessern könnten. Vorstellbar wäre zum Beispiel, CXCL14 zu hemmen. Das kann entweder durch direkte Hemmung des Proteins geschehen oder durch Blockade seiner Rezeptoren, also den Stellen auf der Zelloberfläche, wo es andockt, um seine Wirkung zu entfalten.

Chemokine sind kleinste Proteine. Der Körper produziert sie zum Beispiel bei einer Verletzung, Infektion oder Entzündung. Ihre Freisetzung lockt dann unter anderen Immunzellen an. Chemokine wirken also wie ein Alarmsignal, und sie sind für das effektive Arbeiten des Immunsystems wichtig.

Mit der Substanz CXCL14 hatten sich die Tübinger Forscher und Forscherinnen schon länger beschäftigt. Es ist eines von vielen Chemokinen, die in Thrombozyten gespeichert und bei deren Aktivierung freigesetzt werden. Nach bisherigem Wissen wirkt es sowohl entzündungsfördernd (proinflammatorisch) als auch angiostatisch. Letzteres bedeutet, dass es einer Gefäßneubildung, auch Angiogenese genannt, entgegenwirkt.  

Bild von Dr. Rath
© UniversitätsklinikumTübingen Dr. med. Dominik Rath, Oberarzt Angiologie, UniversitätsklinikumTübingen

Die Forschungsarbeit verdeutlicht, wie Forschung schnell Patienten zugutekommen kann: Beobachtungen aus der Grundlagenforschung werden direkt in einen praktischen klinischen Zusammenhang gebracht und geprüft – es ist gewissermaßen der Brückenschlag zwischen Labor und Krankenbett. 

Schritt eins: Experimente

In vorangehenden experimentellen Untersuchungen, etwa an genetisch veränderten menschlichen Thrombozyten, konnten die Tübinger nachweisen, dass CXCL14 aus Blutplättchen an der Bildung von Blutgerinnseln und der Wanderung von Thrombozyten beteiligt ist. Wichtig für die Thrombozyten-Wanderung ist offenbar, dass CXCL14 an einen bestimmten Rezeptor an der Oberfläche anderer Thrombozyten andockt.

Über einen Prozess, der Chemotaxis heißt, lockt CXCL14 außerdem Entzündungszellen an und fördert das Entstehen von Makrophagen. Das sind Fresszellen, die unter anderem Reste zerstörter Zellen in sich aufnehmen und auflösen, weitere Immunzellen hinzuziehen und die Immunantwort mitregulieren. Nicht zuletzt wirkt CXCL14 auf Endothelzellen, die innen die Gefäße auskleiden. 

Diese Prozesse könnten allerdings die Gefäßregeneration nach einem Herzinfarkt beeinträchtigen und das Fortschreiten einer Atherosklerose begünstigen.

Entzündungsreaktionen spielen eine wesentliche Rolle bei der Atherosklerose und damit auch bei der KHK. Blutplättchen (Thrombozyten) sind hierbei ebenfalls involviert. Über von ihnen freigesetzte Botenstoffe, wie CXCL14, tragen sie zum Beispiel maßgeblich zu den akuten Entzündungsprozessen in den Herzgefäßen bei. Thrombozyten sind aber ebenso ein Speicher für andere Chemokine mit entgegengesetzter Wirkung (wie CXCL12), die sich z.B. positiv auf die Erholungsprozesse im Herzmuskel auswirken, die nach einem Herzinfarkt in Gang gesetzt werden. So bilden sich bei den Reparaturvorgängen kleine Gefäße zur Blutversorgung neu aus bereits vorhandenen Gefäßen (Gefäßsprossung oder Angiogenese). Ebenso können enthaltene Substanzen wiederum die Gefäßneubildung bremsen (Angiostase) und Vernarbungsvorgänge im Herzmuskel anstoßen. Zu diesen Substanzen gehört auch CXCL14. Thrombozyten tragen somit zu einem empfindlichen Gleichgewicht aus Gefäßentzündung und Regeneration bei. 

Schritt zwei: Praxis-Beobachtungen bei KHK

Wie aber sieht es konkret bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom aus (also mit fortschreitender Atherosklerose), oft auch als stabile KHK bezeichnet, und wie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom, also der lebensbedrohlichen Phase einer KHK? Gibt es Hinweise, dass sich CXCL14 tatsächlich auf die Funktion des Herzmuskels und den Ausgang der Erkrankung auswirkt?

Genau das hat Raths Team in dem von der Herzstiftung geförderten Projekt untersucht. Dazu beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Jahr lang 450 Patienten, die wegen einer symptomatischen Herzerkrankung stationär aufgenommen wurden. 177 hatten ein chronisches und 211 ein akutes Koronarsyndrom, 62 andere Herzerkrankungen. Die Forschenden schauten, wer in der Beobachtungszeit starb, einen Herzinfarkt oder ischämischen Schlaganfall bekam, und ob sich die Konzentrationen von CXCL14 an der Oberfläche von Blutplättchen wie auch von frei im Blut befindlichem CXCL14 dabei von denjenigen Patienten mit einem günstigeren Krankheitsverlauf unterschieden.

Schritt drei: Neue Perspektiven für die Herzinfarkt-Therapie

Die Tübinger Forscher fanden etliche interessante Zusammenhänge zwischen den verschiedenen CXCL14-Spiegeln, der Thrombozytenaktivierung und den verschiedenen Stadien der koronaren Herzerkrankung, der Pumpleistung des Herzens sowie dem Ausmaß des Untergangs von Herzmuskelgewebe bei einem Infarkt. So war etwa ein niedriger Ausgangswert des frei zirkulierenden Chemokins deutlich mit einer schlechteren Prognose der Patienten mit koronarer Gefäßerkrankung verbunden, und die gemessenen Konzentrationen von frei zirkulierendem CXCL14 hingen mit dem Ausmaß an zerstörtem Herzmuskelgewebe bei einem Herzinfarkt zusammen.  

Nun gilt es, die Zusammenhänge in weiteren Studien zu bestätigen und zu testen, ob CXCL14 selbst, seine Freisetzung oder seine Bindung an den Rezeptor vielleicht gezielt unterbunden werden kann, beispielsweise mit Antikörpern. Falls das gelingt, und dabei keine gravierenden Nebenwirkungen auftreten, ergeben sich womöglich neue Therapieansätze für Menschen mit KHK oder Herzinfarkt, hoffen die Forscher.

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Kind auf Schaukel
narvikk - Istock

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