Interview

Wie Hormone Frauenherzen steuern

Erfahren Sie im Interview mit dem Gendermediziner Prof. Burkhard Sievers, warum bei Frauen manches am Herzen anders läuft.

Grafik von den Hormonen der Frau
Kiattisak

Das Herz-Kreislauf-System ist im Prinzip bei Männern und Frauen gleich aufgebaut und funktioniert auf die gleiche Weise. Und doch gibt es kleine Unterschiede, die mitunter nicht ohne Folgen für die Herzgesundheit sind. Zu diesen gehören zum Beispiel Steuerungseinheiten wie die Hormone. Was es damit auf sich hat und an welchen Stellschrauben daher ganz individuell für mehr Herzgesundheit gedreht werden sollte, das erläutert im Interview der Kardiologe, Angiologe und Gendermediziner Professor Dr. Burkhard Sievers.

Zunächst eine neugierige persönliche Frage: Ein Mann, der die Gendermedizin sogar in einer Fachgesellschaft vertritt, ist aktuell eher noch ungewöhnlich. Wie kamen Sie denn zu diesem Thema und was macht es für Sie speziell als Kardiologen so spannend? 

Ja, es ist tatsächlich ungewöhnlich und ich bin auch manchmal allein auf weiter Flur. Doch ich bin eben seit langem an dem Thema interessiert. Das liegt daran, dass ich für etwa drei Jahre an der Duke University in North Carolina in den USA gearbeitet habe. Die Amerikaner sind auf dem Gebiet der Gendermedizin schon deutlich, deutlich weiter als die Europäer oder die Deutschen. Und da bin ich dann mit dem Thema in Kontakt gekommen und habe mich dafür interessiert. Gerade in meinem Fachgebiet der Kardiologie, stößt man aufgrund des hohen Anteils an Notfall- und Intensivmedizin dann relativ schnell auch auf unterschiedliche Beschwerden und Erkrankungen zwischen Frauen und Männern.

Könnten Sie sich vorstellen, dass sich noch mehr männliche Ärzte für dieses Thema engagieren?

Ja, absolut. Und nicht nur vorstellen. Ich wünsche es mir sogar. Denn es liegt doch auf der Hand, dass sich auch die männlichen Kollegen um die Frauen kümmern müssen. Immerhin haben wir  51 Prozent Frauen in Deutschland, die wir genauso gut behandeln müssen wie die 49 Prozent Männer. Das Wissen aus der Gendermedizin kann dabei entscheidend helfen und sogar Leben retten.

Dann gehen wir auch direkt mal rein in das Thema. Da über die Unterschiede beim Herzinfarkt zwischen Frauen und Männern schon häufiger berichtet wurde, möchte ich in diesem Interview vor allem auf Unterschiede bei den kleinen, aber sehr wichtigen Steuerungselementen in unserem Körper eingehen, die Hormone. Welche spielen hier für unsere Herzgesundheit eine besondere Rolle?

Das sind insbesondere die Sexualhormone. Es dreht sich eigentlich alles darum und bei den Frauen insbesondere um die Östrogene. Die sind – ähnlich wie die Schilddrüsenhormone – sehr umtriebig und beeinflussen sämtliche Stoffwechselprozesse. Und dann sind als dritte Gruppe natürlich noch die Stresshormone wichtig als Treiber und Trigger von Körperfunktionen, die nicht unserem Willen unterliegen und Unterschiede zwischen Männern und Frauen hervorrufen. 

Fangen wir mal bei den typischen Frauenhormonen, den Östrogenen, an. Wie wirken die konkret auf die Herzgesundheit? 

Bei Frauen ist Östrogen eben das Haupthormon, so dass sie von seinem nachweislich schützenden Effekt auf die Gefäße besonders profitieren und lange vor Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen geschützt sind. Bei Männern ist der Anteil naturgegeben nur gering. Mit den Wechseljahren und der Menopause und dem damit verbundenen Abfall der Östrogene, fällt der Schutzmechanismus dann weg. Und dann steigt bekanntlich die Zahl an Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen bei Frauen rasant an. Genau deshalb müssen Frauen Vorsorge treffen, damit die drohenden Erkrankungen möglichst nicht entstehen. 

Da wäre es natürlich einfach, wenn man sagen würde: Wenn in der Menopause der Hormonspiegel sinkt, dann ersetzen wir die Hormone doch einfach durch Tabletten und Pflaster, um wieder mehr Herzschutz zu erreichen. Aber so einfach ist es ja nicht. Warum?

Ja, leider ist es nicht so einfach. Denn man weiß, dass von außen zugeführte Hormone den Wirkungsverlust der endogenen, also der körpereigenen Hormone, nicht auffangen können. Sie lindern zwar typische Wechseljahresbeschwerden, aber sie haben nicht den selben Effekt wie die körpereigen gebildeten Hormone in Bezug auf die Schutzwirkung von Herz-Kreislauf und Gefäßen.

Was kann Frau denn dann machen, um diesen wegfallenden Herzschutz auszugleichen?

Frühzeitige Vorsorgeuntersuchungen sind ganz entscheidend. Denn manche Erkrankungen beginnen bei den Frauen schleichend und früher, als viele denken. Daher sollten ein erster Herz- und Gefäß-Check-Up schon im Alter von 40 bis 45 Jahren erfolgen, wenn keine weiteren Vorerkrankungen bekannt sind, und noch früher bei familiären, erblichen Belastungen. Es sollte die Gefäßsteifigkeit geprüft und auch nach Risikofaktoren wie erhöhtem Blutzucker und Fettstoffwechselstörung geschaut werden.

Und dann gibt es noch die Dinge, die jeder selbst machen kann: Ausdauersport, eine cholesterinarme mediterrane Ernährung, nicht rauchen und wenig oder keinen Alkohol trinken, ausreichend schlafen.

Frauentypische Hormone spielen bereits in der Schwangerschaft eine Rolle. Und gerade in der Schwangerschaft zeigen sich ganz spezielle weibliche Risiken, die langfristig Auswirkungen auf unsere Herzgesundheit haben können, wie man inzwischen weiß. Welche sind das? 

Vollkommen richtig. Da ist zum einen die Schwangerschaftshypertonie, der Bluthochdruck während der Schwangerschaft, und zum anderen die Zuckererkrankung, der Diabetes während der Schwangerschaft. Und wenn eine dieser beiden oder vielleicht sogar beide Erkrankungen während dieser Zeit auftreten, haben die betroffenen Frauen ein sieben- bis achtfach erhöhtes Risiko auch später daran zu leiden, im Vergleich zu Schwangeren mit normalem Blutdruck und normalen Blutzuckerspiegel.

…. Und das gilt auch, wenn sich nach der Entbindung Blutzucker und Blutdruck zunächst wieder normalisieren?

Ja, unbedingt. Gerade bei der Zuckererkrankung kommt bei diesen Frauen noch erschwerend hinzu, dass sie oftmals nicht durch erhöhte Nüchtern-Blutzuckerwerte auffallen, sondern eine Diabetesvorstufe erst durch einen speziellen Zuckertest, den Glukosetoleranz-Test, bemerkt wird.

Deswegen ist es ganz wichtig bei Frauen mit solchen Schwangerschaftserkrankungen sehr frühzeitig regelmäßige Untersuchungen zu beginnen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn Blutdruck und Blutzucker wieder ansteigen. Denn sonst haben sie echte Nachteile bezüglich Schlaganfall, Herzinfarkt und sonstigen Gefäßkomplikationen.

Dann gehen wir nun zur zweiten Steuerungsgruppe, nämlich unseren Stresshormonen. Stress scheint ja heutzutage wirklich alle zu betreffen – ganz geschlechtsunabhängig. Wo steckt denn hier der Detailunterschied zwischen den Geschlechtern?

Stress ist ein ganz wesentlicher Punkt – gerade bei Frauen, die häufig Mehrfachbelastungen haben durch Vollzeit- oder Teilzeittätigkeit plus Kinderversorgung. Auch wenn die Männer sich hierbei vielleicht heute mehr und mehr beteiligen, dann liegt die Hauptlast doch immer noch mehr auf den Frauen, die vielleicht auch noch Eltern oder Schwiegereltern oder andere Angehörige zu versorgen haben.

Das löst natürlich einen Riesenstress aus. Und beim Stress werden neben Cortisol noch Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet, die auf Dauer erhebliche Folgen für die Herzgesundheit haben, weil das Herz in Daueraktivität versetzt wird. Das fördert Herzschwäche und erhöht das Herzinfarktrisiko. Auch ein plötzliche akute Stressreaktion kann zu einer herzinfarkt-ähnlichen Symptomatik führen. Das ist das sogenannte Broken Heart Syndrom.

Die Stresshormone, die ausgeschüttet werden, sind zwar bei Männern und Frauen prinzipiell gleich. Dennoch ist zum Beispiel gerade das Broken Heart Syndrom bei Frauen deutlich häufiger.

Warum ist das so?

So ganz genau weiß man das noch nicht. Zum einen könnten die Geschlechtshormone in diesem Prozess mit eine Rolle spielen und den Stresshormon-Level beeinflussen. Zudem gibt es wohl geschlechtsspezifische Unterschiede wie die Stresshormone an den Rezeptoren wirken, so dass es in den ohnehin dünneren Gefäßen von Frauen zu heftigeren Reaktionen kommt.

Frauen gehen außerdem mit Stress meist anders um als Männer. Während diese eher ein Ventil nach außen haben und wütend und energiegeladen reagieren, was akuten Stress abbauen kann, sind Frauen unter Stress oft niedergeschlagen und ängstlich. Das wird so zum Dauerstress.

… schließlich hängen Psyche und Herzerkrankungen ja eng zusammen.

 Ja, daher ist auch das Fachgebiet der Psychokardiologie so wichtig. Bei Frauen besteht nämlich zusätzlich oft das Problem, dass sich körperliche und psychische Symptome vermischen und überlappen. Zum Beispiel leiden Frauen zehnmal häufiger an Schilddrüsenerkrankungen als Männer. Und die Symptomatik bei Schilddrüsenerkrankungen kann sich mit der einer Depression oder mit Wechseljahresbeschwerden überlappen.

Hinzu kommt, dass Beschwerden, die mit der Psyche zusammenhängen könnten, ja auch gerne kleingeredet oder aufgeschoben werden, so dass viele Frauen nicht oder erst spät zum Arzt gehen. Diese drei unterschiedlichen Beschwerdebilder und Ursachen – Schilddrüsenerkrankung, Wechseljahresbeschwerden, Depression – dann richtig auseinanderzudividieren, ist selbst für uns Ärzte dann nicht immer einfach.

Sie haben jetzt gerade die dritte wichtige Hormongruppe erwähnt, die Schilddrüsenhormone. Die wirken zwar eher indirekt aufs Herz, aber sie sind enorm wichtig. Das gilt auch in Zusammenhang mit dem Insulin, das unseren Blutzucker reguliert. Was weiß man hier konkret zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden, die sich eventuell auch aufs Herz auswirken? 

Die Schilddrüsenhormone greifen in sämtliche Stoffwechselprozesse ein. Frauen haben nun nachweislich häufiger Schilddrüsenerkrankungen als Männer – meistens sind es Autoimmunerkrankungen, die generell bei Frauen häufiger sind. Das liegt daran, dass Frauen durch das zweite X-Chromosom zahlreiche Informationen doppelt kodiert haben.

Das X-Chromosom trägt vor allem die genetischen Informationen für Herz, Gehirn und Immunsystem. Normalerweise ist das zweite X-Chromosom eigentlich komplett deaktiviert/inaktiv. Aber, in 15% bleibt es aktiv und kann als back-up Mechanismus enorm helfen, z.B. um genetische Defekte des anderen X-Chromosoms ausgleichen. Allerdings bekommen Frauen dadurch auch häufiger Autoimmunerkrankungen.

Eine Störung der Schilddrüse macht dann oft Probleme mit Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und mit dem Blutdruck, und sie wirkt sich auf den Insulinspiegel aus. Und da die Insulinempfindlichkeit bei Frauen noch dazu stärker schwankt, etwa im Laufe des Menstruationszyklus, aber auch in den anderen Lebensphasen mit unterschiedlichen Hormonen-Situationen wie in der Pubertät, Schwangerschaft und Menopause, erschwert das eine gute Insulintherapie. Ohnehin wird Diabetes bei Frauen im Schnitt später als bei Männern diagnostiziert. Das Risiko, dass somit Schäden an den Gefäßen auftreten, ist größer.

Also, wenn man diese ganz offensichtlichen Unterschiede in der Hormonsituation sieht, dann sollten eigentlich sogar beide Geschlechter von diesem neuen Wissen profitieren, oder?

Ja, unbedingt. Es ist auch nicht so, dass Gendermedizin nur Frauen betrachtet. Man weiß zum Beispiel inzwischen, dass Männer andere Arten der Herzerkrankung aufweisen als Frauen, und dementsprechend hier besonderes Augenmerk benötigen. Und es gibt Erkrankungen, wo Männer eindeutig unterdiagnostiziert werden. Da wären etwa der Brustkrebs, der Knochenschwund Osteoporose, Essstörungen oder Depressionen.

Diese Erkrankungen werden immer zunächst mit Frauen in Verbindung gebracht. Dabei haben zum Beispiel Männer und Frauen ab einem Lebensalter von 65-70 Jahren fast das gleiche Risiko für eine Osteoporose. Genauso werden bei Männern die für sie typischen Symptome einer Depression, nämlich erhöhtes Suchtverhalten und Aggressivität, in den üblichen Fragebögen bisher gar nicht abgefragt und daher oft übersehen.

Experte

Prof. Dr. Burkhard Sievers
Bild von Prof. Sievers

Podcast

Grafik von den Hormonen der Frau
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Das vollständige Gespräch ist zu hören im imPULS-Podcast der Herzstiftung.

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