Gendermedizin: Forschung für passgenaue Medizin
Erst langsam finden die Erkenntnisse, dass Krankheitssymptome bei Männern und Frauen anders sein können oder Medikamente je nach Geschlecht anders wirken, Eingang in den medizinischen Alltag. Das fällt unter anderem bei der Diagnostik und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Die Gendermedizin kümmert sich ganz gezielt um die Erforschung eben solcher geschlechterbezogenen kardiologischen Unterschiede. In dieser Podcast-Episode geht es um aktuelle Erkenntnisse, etwa wie Hormone und Immunsystem je nach Geschlecht ein Krankheitsgeschehen beeinflussen. Auch in der Diagnostik von Herzerkrankungen kann es hilfreich sein, auf Unterschiede von Mann und Frau Rücksicht zu nehmen.
Aktuelle Studien zum "kleinen Unterschied"
Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass die Wechseljahre mit einem Anstieg von Stoffwechselprodukten einhergehen, die Herzkrankheiten begünstigen. In einer neuen Untersuchung aus Finnland (1) wurde hier nun ein direkter Zusammenhang mit Veränderungen der weiblichen Sexualhormone nachgewiesen. Danach stiegen unter anderen die LDL-Cholesterin- und Triglyzeridwerte von Frauen in den Wechseljahren merklich an. Etwa zehn Prozent dieses Anstiegs waren auf Veränderung der Sexualhormone zurückzuführen. Bei Frauen, die eine Hormonersatztherapie erhielten, waren die Veränderungen wiederum weniger ausgeprägt. Die Forscher räumen ein, dass eine Menopause zwar ein an sich natürlicher, unvermeidbarer Prozess ist. Dennoch könne durch entsprechende Ernährung und Bewegung ein Teil dieser kardiovaskulär ungünstigen Veränderungen auch aufgefangen werden.
Das Projekt GenderVasc an der Klinik für Kardiologie I des Universitätsklinikums Münster untersuchte hingegen die Versorgungssituation von Patienten und Patientinnen mit Herz- und Gefäßerkrankungen in Deutschland (2). Das Ergebnis: Bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) werden Betroffene generell häufig nicht entsprechend den ärztlichen Leitlinien behandelt. Doch diese mangelhafte Versorgung ist bei Frauen noch deutlicher als bei Männern. So erfolgte bei ihnen seltener eine sogenannte Revaskularisation, um die Durchblutung in verschlossenen Gefäßen wieder herzustellen. Und Sie bekamen auch seltener Plättchenhemmer und Lipidsenker verordnet (68 % bei Frauen versus 74 % bei Männern für Plättchenhemmer/orale Antikoagulantien, sowie 51 % versus 62 % für Statine). Dabei senken diese Therapeutika nachweislich die Rate an schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und in den Beinen die Rate erneuter Revaskularisation oder gar Amputation.
Frauen scheinen auch seltener einen kardiogenem Schock zu überleben als Männer, wie aus einer weiteren Erhebung hervorgeht. Nach den Daten, die im Frühjahr beim Kongress „Acute CardioVascular Care 2022" vorgestellt worden sind, erhielten in dieser Situation deutlich weniger Frauen eine mechanische Kreislaufunterstützung oder einen Eingriff zur Wiederherstellung des Blutflusses in blockierten Arterien.
Expertin
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Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek ist Internistin und Kardiologin. Sie ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung.
Von 2008 bis 2019 war sie Direktorin des Berlin Institute for Gender in Medicine an der Charité, Universitätsmedizin Berlin. Sie hat die deutschlandweit einzige Professur für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen inne. Sie ist zudem die Gründungspräsidentin der Deutschen und der Internationalen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin und hat über 200 wissenschaftliche Artikel sowie zwei europäische Standardwerke zur Gender-Medizin und zur geschlechtsspezifischen Arzneimitteltherapie publiziert.
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1) Menopause modulates the circulating metabolome, European Journal of Preventive Cardiology, 12.Mai 2022, https://doi.org/10.1093/eurjpc/zwac060
2) Sex-related differences in treatment and outcome of chronic limb-threatening ischaemia, European Heart Journal, 7. Mai 2022, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac016