Unsere Lebenswelt ist durchdrungen von digitalen Produkten, von denen viele bereits Komponenten künstlicher Intelligenz (KI) enthalten. Man denke nur an die Gesichtserkennung im Handy. Das neue lernende Sprachprogramm ChatGPT, das auch medizinische Inhalte erstellen kann – für Patienten ebenso wie für Ärzte –, lässt einige bereits von einem markanten Umbruch unserer bisherigen Welt reden. Was könnte das speziell für die Herzmedizin der Zukunft bedeuten? Welcher Nutzen besteht durch KI und welche Risiken sind denkbar?
Hören Sie, was der Leipziger Kardiologe Prof. Holger Thiele, der sich mit seinem Team auch wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt hat, dazu sagt.
Spannende Studien zu KI in der Kardiologie
In einer im Jahr 2019 veröffentlichen Studie (1) wurde eine Methode zum Erkennen von Vorhofflimmern mit Hilfe künstlicher Intelligenz erprobt. Dazu wurden die EKG-Daten von Patienten genutzt, die sich eigentlich im Sinusrhythmus befanden – also keine Anzeichen von Vorhofflimmern zeigten. Dennoch konnte die KI mit hoher Treffsicherheit diejenigen Patienten herausfiltern, die Vorhofflimmern hatten.
In einer folgenden im Jahr 2022 publizierten Studie (2) wurde das KI-Programm bei 1000 Patienten mit Risikofaktoren für einen Schlaganfall getestet, bei denen noch kein Vorhofflimmern bekannt war. Ihre Routine-EKG-Aufnahmen wurden mit dem KI-Programm ausgewertet. Ergebnis: Es konnten mit dem KI-basierten Screening in den Folgemonaten mehr Patienten mit neu auftretendem Vorhofflimmern erkannt werden als bei normaler ärztlicher Betreuung.
US-Forscher vom Massachusetts General Hospital trainierten zudem erfolgreich eine Deep-Learning-KI darauf, Röntgenbilder nach Mustern zu durchsuchen, die mit Arteriosklerose, der häufigsten Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, in Verbindung stehen. Sie können damit inzwischen mit hoher Treffsicherheit Patienten mit einem hohen 10-Jahres-Risiko für einen Herzinfarkt und/oder Schlaganfall erkennen. Sie präsentierten ihre Studiendaten im Herbst 2022 beim Kongress der Radiologengesellschaft RSNA. (3) Ebenso arbeiten britische Wissenschaftler der Universität Oxford an einem KI-Programm, das CT-Aufnahmen des Herzens auswertet, um so das Herzinfarktrisiko frühzeitiger zu erkennen.
Ebenfalls interessant: Chinesische Forscher nutzten in einer Studie (4) Selfies, um mit Hilfe eines Deep-Learning-KI-Programms aus den Gesichtszügen das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkennen – mit überraschend hohem Erfolg. Wissenschaftler werten die Ergebnisse hinsichtlich eines künftigen, einfachen Screenings als vielversprechend.
Experte
Prof. Thiele ist Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie am Herzzentrum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören u.a. Themen rund um Digitalisierung und Telemedizin.
Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und für die Amtsperiode 2023-2025 zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) gewählt worden.
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1) An artificial intelligence-enabled ECG algorithm for the identification of patients with atrial fibrillation during sinus rhythm; Lancet 2019; DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)31721-0
2) Artificial intelligence-guided screening for atrial fibrillation using electrocardiogram during sinus rhythm; Lancet 2022; DOI: 10.1016/S0140-6736(22)01637-3
3) Pressemitteilung der RSNA "AI Predicts Heart Disease Risk Using Single X-Ray"; https://press.rsna.org/pressrelease/2022_resources/2388/abstract.pdf
4) Feasibility of using deep learning to detect coronary artery disease based on facial photo; European Heart Journal , Dezember 2020, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa640
Publikation Prof. Thiele: A cardiologist's guide to machine learning in cardiovascular disease prognosis prediction; DOI: 10.1007/s00395-023-00982-7
Was ist unter KI zu verstehen?
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Teilgebiet der Informatik. Ziel ist es, mit Hilfe von Algorithmen (Berechnungen und eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems) und Technologien Computern quasi das "Denken", Lernen, Planen und Entscheiden beizubringen - was am Ende menschenähnlicher Intelligenz ähneln soll. Durch künstliche neuronale Netze und sog. Deep Learning werden zum Beispiel Informationen vielschichtig verknüpft, so dass die Auswertung dem menschlichem Denken und Lernen besonders nahe kommen soll.
In einfacher Form sind KI-Systeme auf bestimmte Aufgaben beschränkt, für die sie programmiert wurden. Fortgeschrittene Systeme sind jedoch bereits heute in der Lage, selbst komplexe Probleme zu lösen, ohne dass sie dafür speziell nochmals programmiert werden müssen.
Anwendungen der KI sind zum Beispiel:
- Bild- und Spracherkennung (Mustererkennung)
- maschinelles Lernen
- robotergestützte Automation
- autonome und automatische Entscheidungsfindung