Herzstiftung begrüßt Maßnahmen zur Stärkung der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen: bisher unbehandelte Risikokrankheiten könnten früher erkannt werden
(Frankfurt a. M./München, 25. Juni 2024) Die Deutsche Herzstiftung begrüßt die geplanten Maßnahmen, die der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland dienen, wie sie dem aktuellen Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit (Gesundes-Herz-Gesetz - GHG) zu entnehmen sind. Ein gesunder Lebensstil mit Nikotinverzicht, regelmäßiger Bewegung und ausgewogener Ernährung ist für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von entscheidender Bedeutung. „Prävention ist unverzichtbar und sie muss bereits bei den Kindern in Kita und Schule beginnen. Dafür setzen wir uns seit vielen Jahren mit Bewegungs- und Rauchpräventionsprogrammen in Schulen ein“, betont Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. „Allerdings sind nahezu 50 Prozent aller Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, allen voran die koronare Herzkrankheit (KHK), nicht allein durch eine Lebensstiländerung beeinflussbar, sondern bedürfen zusätzlich einer medikamentösen oder interventionellen Therapie.“ Die hohe Krankheitslast und Sterblichkeit durch die KHK mit über 120.000 Todesfällen pro Jahr zeigen, dass sich weite Teile der Bevölkerung Deutschlands nicht in ausreichender therapeutischer Versorgung befinden oder gar nicht versorgt sind. Anreize für eine Verbesserung der Situation hält der Kardiologe für dringend notwendig. „Das im Gesetzentwurf formulierte Maßnahmenbündel ist die notwendige Reaktion auf die bisherigen Versäumnisse. Das Gesunde-Herz-Gesetz dürfte effektiv dazu beitragen, die Herzgesundheit in der Bevölkerung zu verbessern und die Krankheitslast und Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken“, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende. Ernüchternd falle eine Bestandsaufnahme Deutschlands aus: „Die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bewegt sich in Deutschland weiterhin auf einem sehr hohen Niveau und in der Lebenserwartung befinden wir uns in Westeuropa unter den Schlusslichtern.“
Die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geplanten Maßnahmen umfassen unter anderem die gezielte Früherkennung von kardiovaskulären Risikofaktoren bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Für Patienten mit bereits bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert das neue Gesetz die Sekundärprävention durch das Stärken von Disease Management Programmen (DMP). Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, auch Versicherten mit hohem kardiovaskulärem Risiko vor Auftreten eines Ereignisses wie zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall den Zugang zu DMP-Angeboten zu erleichtern. Rauchen ist ein bedeutsamer Risikofaktor für Herzinfarkt, Schlaganfall und für die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Konsequenterweise ist im Gesetzesvorschlag die Intensivierung der medikamentösen Tabakentwöhnung und deren Erstattungsfähigkeit integriert.
Lücke in der Herz-Vorsorge: „Schützende Maßnahmen kommen nicht bei allen an“
Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen unter allen Ursachen jedes Jahr zu den meisten Krankenhausaufnahmen und Sterbefällen. Allein wegen der KHK, der Grunderkrankung des Herzinfarkts, werden in Deutschland jährlich über 550.000 Menschen stationär aufgenommen. Über 45.000 Menschen sterben am Herzinfarkt. Zahlen, die nicht so hoch ausfallen müssten, denn über 50 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen und Männern sind auf modifizierbare Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Rauchen und Diabetes mellitus zurückzuführen. Das neue Gesetz könnte helfen, das Bewusstsein für diese Risikofaktoren zu intensivieren. „Viele Menschen sind sich dieser Risikofaktoren gar nicht bewusst. Schützende Maßnahmen wie Lebensstiländerung, aber auch medikamentöse oder interventionelle Therapiemaßnahmen kommen somit leider nicht bei allen Betroffenen in unserem Lande an“, so Prof. Voigtländer.
„Überfällig“: Stärkung von Früherkennung und Prävention im Kindesalter
Dass Vorsorgemaßnahmen bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen sollen, ist ein „besonders wichtiger und überfälliger Schritt“, so Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Das Thema Herzgesundheit müsse auch über die im Herz-Gesetz geplanten Maßnahmen hinaus schon in den Grundschulen viel mehr Gewicht bekommen, fordern die Vorsitzenden der Herzstiftung. Neben dem Rauchen ist Bewegungsmangel, und damit einhergehend Übergewicht, ein Problem, das sich mitunter schon sehr früh zeigt. „Die Grundlagen für den Herzinfarkt entstehen bereits im Kindesalter, dem müssen wir durch Bewegungsprogramme und gesunde Ernährungsangebote in Kitas und Schulen gegensteuern“, so der Kardiologe Prof. Voigtländer, Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main. Unter den Kindern ist nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa jedes sechste Kind, unter den 11- bis 13Jährigen sogar jedes fünfte, von Übergewicht oder Adipositas betroffen.
Besondere Bedeutung hat die Verbesserung der Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie (FH), wie sie das Gesunde-Herz-Gesetz vorsieht. Die FH ist eine erbliche Stoffwechselkrankheit, bei der LDL-Cholesterin nicht richtig abgebaut wird, was schon im mittleren Lebensalter zu Arteriosklerose und Herzinfarkten führen kann. „Etwa eines von 250 Kindern wird in Deutschland mit FH geboren. Mit Hilfe einer einfachen Blutentnahme im Rahmen eines Lipid-Screenings beim Kinderarzt konnten wir zum Beispiel in Bayern in nur drei Jahren mehr als 200 Familien mit einer FH identifizieren und ihnen wichtige Informationen zur Krankheitsvorbeugung an die Hand geben und eine leitliniengerechte Therapie anbieten – die vor frühen Infarkten schützt“, erklärt Prof. Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Deutschen Herzzentrum München.
Faktencheck zur Herzgesundheit
Hebel gegen hohe Dunkelziffer bei Herzerkrankungen
Die Deutsche Herzstiftung begrüßt die im Gesetzesvorschlag formulierten Check-ups auch schon bei jüngeren Erwachsenen, um unbehandelte Risikokrankheiten wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Adipositas frühzeitig zu erfassen. So kann bei Betroffenen auch eine effektive Behandlung früh erfolgen. Das beinhaltet neben Lebensstilmaßnahmen auch die medikamentöse Therapie zu hoher Blutdruck-, Blutzucker- und Lipid-Werte.
In der Gesetzesvorlage wird insbesondere die Therapie der Hypercholesterinämie adressiert. Dies begrüßt der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Prof. Voigtländer, ausdrücklich. Die Schwelle, ab wann eine Behandlung mit cholesterinsenkenden Medikamenten (Statinen) zum Schutz vor schweren kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall angeraten ist, soll geändert werden. Grundlage der Empfehlungen ist der SCORE 2-Risikorechner der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie. Dieser ermittelt das Risiko für das Auftreten von tödlichen und nichttödlichen kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Es werden Alter, Geschlecht, HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin und Nikotinkonsum zugrunde gelegt. Das Vorliegen anderer Risikofaktoren bleibt unberücksichtigt. Derzeit muss das Zehn-Jahres-Risiko für das Auftreten eines solchen (ersten) kardiovaskulären Ereignisses mindesten 20 Prozent betragen, damit ein Statin verordnungsfähig ist. Künftig sollen hier niedrigere Grenzwerte abhängig vom Alter gelten, nämlich:
- ≤ 50 Jahre: bei einem Zehn-Jahres-Risiko von 7,5 Prozent
- 51–70 Jahre: bei einem Zehn-Jahres-Risiko von 10 Prozent
- ≥ 71 Jahre: bei einem Zehn-Jahres-Risiko von 15 Prozent
- bei bestätigter familiärer Hypercholesterinämie: bei Kindern ab sechs Jahren
UPDATE
In dem am 28.8. vom Kabinett verabschiedeten "Gutes-Herz-Gesetz" ist die Festlegung der Grenzwerte durch den Gesetzgeber nicht mehr enthalten. Vielmehr heißt es nun: „Zur Vorbeugung schwerer kardiovaskulärer Ereignisse wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle soll daher die Verordnungsfähigkeit von Statinen auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und medizinischer Leitlinien in bestimmten Risikokonstellationen gestärkt werden.“ Den gesetzlichen Anspruch auf Versorgung mit Lipidsenkern im Detail "insbesondere zu den erforderlichen Festlegungen und Ereignisrisiken", soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung von Ärzten und Psychotherapeuten festlegen.
Auch wenn es so explizit nicht im Gesetzesvorschlag steht, muss selbstverständlich die Verordnung von cholesterinsenkenden Medikamenten durch Lebensstilmaßnahmen flankiert werden. Bei der Verordnung der Medikamente muss durch den behandelnden Arzt immer auch die individuelle Situation des einzelnen Patienten berücksichtigt werden.
„Insbesondere den niederschwelligen Ansatz, Check-Ups anzubieten und sich auf lebensstilbezogene Faktoren und die gefährliche Kombination aus Bluthochdruck, Adipositas, Diabetes und zu hohe Blutfette zu fokussieren, werten wir als sehr positiv“, betont Prof. Voigtländer. „Ein wichtiger Punkt ist, dass sich durch konsequente Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen Lebensqualität und Lebenszeit gewinnen lassen“, ergänzt der Herzstiftungs-Vorsitzende. „Denn wir haben es selbst in der Hand, Risiken früh zu erkennen und zu behandeln.“
- Deutsche Herzstiftung (Hg.), Deutscher Herzbericht 2022, Frankfurt a. M. 2023.
- Magnussen C, Ojeda FM, Leong DP, et al. Global Effect of Modifiable Risk Factors on Cardiovascular Disease and Mortality. N Engl J Med. 2023;389(14):1273-1285. doi:10.1056/NEJMoa2206916.
- Schienkiewitz A, Damerow S, Schaffrath Rosario A, Kurth B-M, Body-Mass-Index von Kindern und Jugendlichen: Prävalenzen und Verteilung unter Berücksichtigung von Untergewicht und extremer Adipositas: Ergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2019;62(10):1225-1234. doi:10.1007/s00103-019-03015-8.
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