Sprechstundenfrage

Hoher Cholesterin bei Kindern: Wie sinnvoll ist die Gabe von Statinen?

Statine werden vor Ende der Pubertät nicht generell empfohlen. Lesen Sie hier, welche Behandlungen stattfinden sollten.

Die Sprechstundenfrage im Wortlaut:

Mein Sohn ist zehn Jahre alt und hat genetisch bedingt hohe Cholesterinwerte. Er ist schlank und ernährt sich weitgehend gesund. Sein Kardiologe hier in den USA hat ihm jetzt Statine (Lipitor, 10mg/Tag) verordnet. Hier meine Fragen:

  1. Der amerikanische Kinderkardiologe sagte, dass die Behandlung mit Statinen – für Fälle wie den meines Sohnes – Standard ist. Sieht man das in Deutschland genauso?
  2. Innerhalb der letzten Jahre wurden bei vielen Familienmitgliedern meines Mannes Krebs diagnostiziert. Letztes Jahr bekam er selbst eine Darmkrebsdiagnose (Stadium 3 im Alter von 44 Jahren). Es ist also gut möglich, dass mein Sohn diese Veranlagung geerbt hat. Ist das eventuell ein Grund, den Beginn der Statinbehandlung zu verschieben, bis mein Sohn etwas älter ist? Unser Kinderkardiologe meinte nein, aber Ihre Meinung dazu würde mich sehr interessieren.
  3. Würden Sie eine zusätzliche ärztliche Betreuung durch einen (Kinder-)Endokrinologen anraten? Hier die Blutwerte der letzten Jahre (mein Sohn wurde im November 1999 geboren):

Datum - Gesamtchol. - LDL - HDL -Triglyceride

  • 10/2003 - 253 - 163 - 70
  • 02/2004 - 194 - 123 - 45
  • 03/2005 - 191 - 122 - 53
  • 06/2006 - 201 - 143 - 47
  • 05/2007 - 206 - 129 - 50
  • 06/2008 - 195 - 119 - 62
  • 10/2009 - 223 - 157 - 47 - 95

Die Triglyceride liegen nur für die letzte Untersuchung vor. Sie waren aber immer im Normbereich. Schon im Voraus herzlichen Dank für Ihre Hilfe! (Ilona R., Warrenton, Virginia/USA)

Expertenantwort:

Die familiär primär-genetischen Formen der schweren Hypercholesterinämie gehören zu den häufigsten angeborenen Stoffwechselstörungen. 50 Prozent der Kinder eines betroffenen Elternteils sind wiederum Träger. Vergleichbare Auswirkungen haben auch der familiäre Defekt des Apoprotein B, polygen vererbte Störungen und familiär kombinierte Hyperlipidämien.
Schwere Formen primär-genetischer Hypercholesterinämien sollten bereits im Kindes- und Jugendalter diagnostiziert und behandelt werden, da schon in diesem Alter Gefäßverletzungen entstehen können, deren Ausmaß mit der Höhe der LDL-Cholesterinwerte in Zusammenhang steht. Im Allgemeinen wird im Kindesalter ab einem LDL-Cholesterin über 150mg/dl von einer Behandlungsindikation gesprochen (bei normalem HDL-Cholesterin über 35mg/dl). Bei Werten über 130 und 150mg/dl sollten regelmäßige Kontrollen erfolgen, auf jeden Fall auch eine Abklärung in einem pädiatrischen Stoffwechselzentrum.
Primär sollte eine Umstellung der Ernährung stattfinden, bei der die Zufuhr gesättigter Fettsäuren (Butter, Käse, Fleischwaren, Eier) begrenzt werden und die Cholesterinzufuhr unter 100 mg pro Tag liegen sollte.
Schaut man sich die Blutwerte Ihres 10-jährigen Sohnes an, so ergaben sich lediglich 2003 und 2009 erhöhte Gesamtcholesterin- und LDL-Werte. Insofern würde man zunächst zu einer Optimierung der Ernährung raten, bevor eine medikamentöse Therapie erwogen wird. Diese besteht im Kindes- und Jugendalter in erster Linie aus Colestyramin und erst in zweiter Linie aus Sitosterin. Der Einsatz von Statinen vor Ende der Pubertät wird insofern nicht generell empfohlen, da keine ausreichende Information zur Wechselwirkung mit dem Steroidhormonstoffwechsel und über Langzeiteffekte vorliegt. Mit der onkologischen Erkrankung bei anderen Familienmitgliedern hat dies wahrscheinlich nichts zu tun.
Eine etwas aggressivere Therapie würde man dann wählen, wenn in der Familie Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor dem Alter von 55 Jahren bestanden haben oder wenn beim kindlichen Patienten zusätzliche Risikofaktoren vorliegen (zum Beispiel Bluthochdruck oder Diabetes).

Expertin

Prof. Dr. med. Renate Oberhoffer
Portrait von Prof. Renate Oberhoffer