Pressemeldung

Corona-Pandemie verschlechtert Versorgungslage von Herzpatienten

Deutscher Herzbericht zeigt Risiken der Corona-Pandemie für Herzpatienten und die Auswirkungen auf deren Versorgung auf.

Portrait von Prof. Voigtländer

(Frankfurt a. M., 22. Juni 2021) Die COVID-19-Pandemie birgt spezielle Risiken für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen – nicht nur durch besonders schwere Krankheitsverläufe, sondern auch durch unerwünschte Entwicklungen bei der regulären Behandlung akuter und chronischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das zeigt der aktuelle Deutsche Herzbericht 2020, der die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland im Bereich der Herz-Kreislauf-Medizin darstellt. „Die Pandemie hat besonders starke Auswirkungen auf Herzpatienten – zum einen, weil sie ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren Verlauf zu erleiden oder zu sterben, zum anderen, weil Nicht-Infizierte zögern, bei akuten Beschwerden den Notarzt zu rufen“, warnt Herzspezialist Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Insbesondere Bluthochdruck und Herzschwäche erhöhen Risiko für schweren Verlauf

Der Deutsche Herzbericht 2020 (1) stellt unter anderem eine deutsche Beobachtungsstudie an mehr als 10.000 COVID-19-Patienten vor, die während der ersten Pandemie-Welle zwischen dem 26.02. und dem 20.04.2020 stationär behandelt wurden. Die Studie basierend auf AOK-Versichertendaten zeigt u. a. die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer Erkrankung auf. So lag die Wahrscheinlichkeit einer Beatmung für Männer bei 22 % und damit deutlich höher als für Frauen (12 %). Außerdem fiel auf, dass ein Großteil der Patienten unter einer Vorerkrankung litt. Es hatten:

  • 55,6 % der Patienten arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
  • 27,9 % Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • 22,8 % Nierenversagen
  • 19,6 % Herzinsuffizienz.

„Diese Ergebnisse zeigen zugleich, wie wichtig gerade in Pandemiezeiten eine konsequente Behandlung der Vorerkrankungen, beispielsweise eine Senkung des Blutdrucks bei Hypertonie-Patienten oder die optimale Einstellung des Blutzuckers bei Diabetespatienten ist, um das Risiko eines schweren oder gar kritischen COVID-19-Verlaufs zu minimieren“, betont der Kardiologe und Intensivmediziner Prof. Voigtländer. Eine groß angelegte Metaanalyse von 77 Studien aus verschiedenen Ländern unter Einschluss von knapp 39.000 stationär behandelten COVID-19-Patienten bestätigt diese Beobachtungen. Der Analyse zufolge erhöht ein Alter über 60 Jahre das Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken oder zu sterben, um das 2,6-Fache. Eine bestehende Niereninsuffizienz steigert das Risiko um das 2,5-Fache, eine Herzerkrankung um das 2,1-Fache. Weitere Risikofaktoren sind der Analyse zufolge Bluthochdruck, das männliche Geschlecht sowie eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung.

Eine weitere Metaanalyse, die 17.435 COVID-19-Patienten einschließt, zeigt, wie sich die Krankheit akut aufs Herz auswirken kann: Bei 16,8 % der Patienten traten Herzrhythmusstörungen (u. a. Vorhofflimmern/Vorhofflattern, Leitungsstörungen, Kammerflimmern/Kammerflattern) auf, jeder fünfte dieser Patienten starb. „Als mögliche Ursachen werden metabolische Entgleisungen, Sauerstoffmangel, Entzündungsprozesse, aber auch eine mögliche Myokarditis durch SARS-CoV-2 diskutiert“, erklärt Voigtländer. „Auch ist die gehäufte Bildung von Mikrothromben, kleinste Blutgerinnsel in den Gefäßen, die mit einem erhöhten Infarktpotenzial einhergehen, eine bedeutsame Ursache für Komplikationen bei Herz-Kreislauf-Patienten mit COVID-19.“ Langfristig kann eine Infektion mit COVID-19 Folgen fürs Herz haben, beispielsweise wurden auch zwei Monate nach der Infektion Veränderungen des Herzens festgestellt. Insgesamt sind die Folgeerscheinungen der sogenannten „Long-COVID“-Symptomatik aber eher organunspezifisch.

Weniger Diagnosen, höhere Sterblichkeit

Die Autoren weisen im Deutschen Herzbericht 2020 auf einen weiteren, besorgniserregenden Effekt während der Corona-Pandemie hin: Vor allem während der ersten Welle zögerten Patienten, mit akuten Beschwerden des Herz-Kreislaufsystems zum Arzt zu gehen, oder mieden Routineuntersuchungen. Dafür spricht eine deutliche Abnahme der Diagnosen im Bereich der Herz-Kreislauf-Medizin – in Deutschland und weltweit. Eine Analyse zu italienischen Intensivstationen zeigte in der Woche vom 12.3.2020 bis 19.3.2020 eine Abnahme um 48,4 % von Patienten mit akutem Herzinfarkt. Gleichzeitig nahm die Sterblichkeit bei Herzinfarkten von 4,1 auf 13,7 % zu. Die Ursache dafür könnten eine allgemeine Verunsicherung der Bevölkerung oder die Sorge, sich in den Krankenhäusern an COVID-19 zu infizieren, sein. „Es ist zu befürchten, dass die verzögerte oder überhaupt nicht durchgeführte Diagnostik erhebliche Langzeitfolgen für die kardiovaskuläre Gesundheit haben wird“, wie die Autoren der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) im Herzbericht betonen. Einen Anstieg der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen während eines strikten Lockdowns hat eine Untersuchung von Daten hessischer Krankenhäuser im Zeitraum 23. März bis 26. April 2020 belegen können. 7,6 % mehr Menschen als im selben Zeitraum des Vorjahres starben an einer Herz-Kreislauf-Komplikation, während die Sterblichkeit allein durch eine Herzerkrankung um 11,8 % höher war. Im selben Zeitraum sank in den 26 Kliniken, die an der Untersuchung teilnahmen, die Zahl der Herzkathetereingriffe um 35 % gegenüber dem Vorjahr. Die Studienautoren vermuten, dass der Sterblichkeitsanstieg nicht allein mit SARS-CoV-2-Infektionen zu erklären ist, sondern dass Patienten viel später als üblich in die Kliniken kamen und dadurch erst deren Herz- oder Gefäßkomplikationen verzögert medizinisch versorgt wurden.  

Mehr plötzliche Herzstillstände im häuslichen Umfeld

Die Auswirkungen der verminderten Diagnostik zeigen sich möglicherweise auch in der Häufigkeit eines plötzlichen Herzstillstands außerhalb von Kliniken. Inwieweit diese Ereignisse zugenommen haben, untersuchen drei Publikationen aus verschiedenen, stark von COVID-19 betroffenen Regionen. Neben Paris und der Lombardei wurden auch Daten aus New York analysiert. Die Daten der drei Studien zeigen: Während des ersten Lockdowns nahm die Anzahl der plötzlichen Herzstillstände außerhalb von Kliniken deutlich zu, während sich gleichzeitig die Überlebenschancen deutlich verschlechterten. In der Lombardei beispielsweise nahm die Zahl der plötzlichen Herzstillstände im Zeitraum vom 21.02.2020 bis zum 31.03.2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 58 % zu. Gleichzeitig nahm der Anteil der Patienten, die lebend das Krankenhaus erreichten, von 19,8 auf 8,6 % ab. Eine ähnliche Entwicklung zeigt auch die Studie aus Paris. In New York stieg die Zahl der plötzlichen Herzstillstände zwischen dem 01.03.2020 und dem 25.04.2020 im Vergleich zum Vorjahr sogar um das Dreifache. Als Ursache für die dramatische Entwicklung sehen die Autoren verschiedene Faktoren: Zum einen traten deutlich mehr Herzstillstände im häuslichen Umfeld auf. Familienmitglieder leiten bekanntermaßen aus psychologischen und emotionalen Gründen seltener Wiederbelebungsmaßnahmen ein. Zudem sei es denkbar und nachvollziehbar, dass Augenzeugen, aber auch professionelle Ersthelfer aus Angst vor einer möglichen Infektion mit Reanimationsmaßnahmen eher zurückhaltend seien. Zudem hatte ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Patienten eine bestätigte oder vermutete COVID-19-Infektion, was ebenfalls eine höhere Sterblichkeit erklären würde. „Um Menschen in Pandemie-Zeiten diese Ängste zu nehmen und ihre Hemmschwelle für Erste Hilfe durch die Laien-Wiederbelebung zu senken, bieten wir die wichtigsten Schritte der Laien-Reanimation in Corona-Zeiten auf unserer Herzstiftungs-Homepage an“, unterstreicht Voigtländer. Die Infos sind abrufbar unter: www.herzstiftung.de/herzdruckmassage-wiederbelebung

Nutzen Sie die Informationen zur Kampagne „Ein krankes Herz kann niemals warten“

Um auf die speziellen Risiken für Herzpatienten in der Coronakrise aufmerksam zu machen und Betroffene zu motivieren, bei entsprechenden Beschwerden zum Arzt zu gehen, startete die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der Europäischen (ESC) und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) die Aufklärungskampagne „Ein krankes Herz kann niemals warten – Trotz Corona: Warnsignale des Herzens nicht ignorieren“. Infos unter www.herzstiftung.de/krankesherzwartetnie

Der Deutsche Herzbericht wird von der Deutschen Herzstiftung zusammen mit den ärztlichen Fachgesellschaften, den Deutschen Gesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) alljährlich herausgegeben. Der Deutsche Herzbericht 2020 ist kostenfrei zum Download (PDF) erhältlich unter: www.herzstiftung.de/herzbericht

(1) Deutsche Herzstiftung (Hg.), Deutscher Herzbericht 2020, Frankfurt a. M. 2021, Kapitel 0. „COVID-19-Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, s. Seiten 11-16.

Die Herzstiftung bietet unter www.herzstiftung.de/risiko einen kostenfreien Herzinfarkt-Risikotest an.

Die vollständige Pressemappe zur Vorstellung des Deutschen Herzberichts 2020 mit weiteren Pressetexten aller beteiligten Fachgesellschaften sowie druckfähiges Grafik- und Bildmaterial erreichen Sie unter: www.herzstiftung.de/herzbericht.

Kontakt

Pressestelle: Michael Wichert und Pierre König