Bluthochdruck ist einer der wesentlichen Risikofaktoren für Herz- und Gefäßerkrankungen. Die Zahl der Betroffenen wächst: Weltweit hat sich die Zahl der Erwachsenen mit Bluthochdruck in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt! Doch obwohl die gesundheitliche Gefahr, die von dauerhaft erhöhten Werten ausgeht, hinlänglich bekannt ist, ist die Zahl der Menschen, die ihren Blutdruck kontrollieren und ihre Werte kennen, vergleichsweise gering.
In Deutschland schätzen Experten, dass das etwa bei jedem fünften Erwachsenen der Fall ist. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Bluthochdruck zunächst einmal keine Beschwerden verursacht. Zum anderen sind Patienten oft verunsichert, wenn sie die Diagnose Bluthochdruck erhalten.
Häufige Fragen sind dann: Ab wann ist der Blutdruck so hoch, dass ich tatsächlich Tabletten nehmen sollte? Gelten im Alter für mich vielleicht andere Grenzwerte? Und auf welchen Wert sollte mein Blutdruck denn möglichst sinken, damit das Herz effektiv geschützt ist? In den neuen Leitlinien der Europäischen Bluthochdruckgesellschaft (ESH), die im Juni 2023 vorgestellt wurden, sind diese Aspekte berücksichtigt worden. Was beutet das konkret für die Blutdruckbehandlung?
Pragmatische Zielsetzung erleichtert die Kommunikation
Insgesamt ähneln die neuen Empfehlungen den bisherigen. Doch die Blutdruckzielwerte wurden zum Beispiel vereinfacht. Ganz pragmatisch gilt nun offiziell die Empfehlung, dass jeder Patient/jede Patientin im Alter zwischen 18 und 79 Jahren auf Werte unter 140 mmHg systolisch und 90 mmHg diastolisch eingestellt werden sollte. Diese Empfehlung gilt auch für Patienten über 80 Jahre, wenn das vertragen wird. Denn damit könnte die bluthochdruckbedingte Gesundheitsgefahr insgesamt deutlich verringert werden, betonen die Leitlinien-Autoren.
Die Empfehlung kommt somit der Behandlungsrealität nahe und dient als eine Art Zielkorridor, der Anpassungen an die individuelle Situation eines Patienten durchaus zulässt. Denn der genannte Zielwert heißt nicht, dass niedrigere Werte nicht gut wären. Als bestätigt gilt ein Bluthochdruck im Allgemeinen, wenn bei mindestens zwei bis drei Praxisbesuchen in Abständen von ein bis vier Wochen erhöhte Werte vorliegen oder eine deutliche Blutdruckerhöhung (≥180/110 mmHg) gemessen wurde beziehungsweise hohe Werte bei bereits bekannter Herzerkrankung vorliegen.
Eine Senkung auf Werte unter 130/80 ist in der Regel mit noch besseren Therapieergebnissen verbunden, vor allem bei Patienten mit bereits bestehender Herzerkrankung – ist aber eben für manche Patienten auch mit unerwünschten Effekten verbunden. Schwindel oder verstärkt Nebenwirkungen der Antihypertonika bei intensiver Therapie sind möglich. „Das bestätigt, was auch die Deutsche Herzstiftung immer geraten hat. Eine Blutdrucktherapie nutzt nur, wenn sie auch vom Patienten vertragen wird und die Medikamente regelmäßig eingenommen werden“, so Kardiologe und Hochdruckexperte Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Herzstiftung und Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses Frankfurt am Main. „Wichtig ist auch, dass klargestellt wird: Ein Absenken der Werte unter 120/70 mmHg sollten bei einer Blutdrucktherapie vermieden werden.“
Bei Hochbetagten mehr Spielraum für Therapiebeginn
Für Patienten über 80 Jahre gilt entsprechend der neuen Leitlinie eine spezielle Empfehlung: Während generell eine medikamentöse Therapie ab einem beim Arzt gemessenen durchschnittlichen systolischen Wert über 140 mmHg und einem diastolischen Blutdruckwert über 90 mmHg ratsam ist, kann bei den Älteren auch ein systolischer Wert bis 160 mmHg toleriert werden. Zielwert ist dann ein systolischer Blutdruck wenigstens zwischen 140-150 mmHg, er darf aber auch niedriger sein. Vorsicht ist dann geboten, wenn bereits sehr niedrige diastolische Werte unter 70 mmHg vorliegen.
„Die Entscheidung, ab welchem Blutdruck bei Hochbetagten mit einer Therapie begonnen wird, ist immer eine individuelle Entscheidung. Dabei spielen vor allem die allgemeine Gebrechlichkeit und weitere Begleiterkrankungen eine wichtige Rolle“, erläutert Prof. Voigtländer. Ebenfalls wichtig: Eine schon früher begonnene Blutdrucktherapie sollte auch bei Hochbetagten möglichst fortgesetzt werden.
Blutdrucksenkung effektiver durch Kombination von Medikamenten
Die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie sind im Wesentlichen unverändert. „Eine Zweierkombination aus ACE-Hemmer oder Sartan plus Kalziumantagonist oder Diuretikum ist hier in der Regel der erste Schritt zur Blutdrucksenkung“, erläutert Prof. Voigtländer. Reicht das nicht, sollte eine Dreierkombination aus diesen Wirkstoffklassen versucht werden. Auf der dritten Stufe kommen weitere Substanzen ins Spiel. Wie bisher sind die Aldosteron-Antagonisten (Spironolacton /Eplerenon) als wichtige Substanzklasse bei der Behandlung der schwer einstellbaren Hypertonie genannt.
Neu ist bei diesen Patienten der Einsatz des Kombinationspräparates aus Neprilysinantagonist und Sartan (ARNI, Angiotensin-Receptor-Neprilysin-Inhibitor) als Empfehlung zur Blutdrucksenkung. Wenn dieses Kombinationspräparat eingesetzt wird, müssen allerdings der ACE-Hemmer beziehungsweise das Sartan aus der bisherigen Therapie abgesetzt werden. Bei Patienten, die bereits Nierenschäden aufweisen, wird die Therapieempfehlung zudem um Wirkstoffe aus der Gruppe der sogenannten SGLT-2-Inhibitoren (Gliflozine) ergänzt wie Empagliflozin.
„Wir haben inzwischen ein neues Verständnis, wie der Bluthochdruck reguliert wird beziehungsweise durch eine multimechanistische Funktionsstörung entsteht, bei der verschiedenste Faktoren ineinandergreifen. Das erklärt auch, warum wir mit der Kombination von Medikamenten, die ganz unterschiedlich wirken, den Blutdruck viel effektiver senken können als durch eine Monotherapie“, so de Kardiologe.
Bei Patienten mit niedrigem bis mittlerem kardialem Risiko und mit einem Blutdruck im hohen Normalbereich (130-139 mmHg systolisch und 85-89 mmHg diastolisch) besteht die Empfehlung, keine blutdrucksenkende medikamentöse Therapie einzuleiten. Bei diesen Patienten sollte sich die Intervention vorerst auf eine Lebensstilberatung beschränken.
Regelmäßige Blutdruckmessung kann Hypertonie aufdecken
„Zu begrüßen ist auch, dass in den Leitlinien nochmals auf die Wichtigkeit einer regelmäßigen Blutdruckkontrolle verwiesen wird. So wird betont, dass bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf das Vorliegen eines Bluthochdrucks gescreent werden sollte“, so der Frankfurter Kardiologe. „Bei Menschen über 40 Jahren heißt das: Lassen Sie sich einmal pro Jahr beim Hausarzt den Blutdruck checken.“ Risikopatienten wird dieses Vorgehen bereits in jüngeren Jahren empfohlen. Hier werden in der neuen Leitlinie auch Frauen nach der Menopause und Frauen mit einer Vorgeschichte von Schwangerschaftsbluthochdruck und Schwangerschaftskomplikationen wie einer Präeklampsie hervorgehoben.
Voigtländer rät: „Wer an sich gesund ist und nicht zum Hausarzt muss, sollte zumindest die Gelegenheit nutzen, sich immer mal wieder in der Apotheke den Blutdruck messen zu lassen. Das kann ebenfalls einen Hinweis auf einen bisher unentdeckten Bluthochdruck liefern.“ Denn es besteht ein kontinuierlicher Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Blutdrucks und dem Risiko für Schlaganfall, KHK, Herzinsuffizienz und der Entwicklung und dem Fortschreiten von chronischen Nierenerkrankungen. Je früher ein Bluthochdruck entdeckt wird, desto besser lassen sich diese Folgen vermeiden.
Neue Stadieneinteilung anhand von Organschäden
Sinnvoll ist ebenfalls, dass neben der bisherigen Einteilung nach Blutdruckwerten (z.B. optimal, normal, hochnormal) drei Krankheitsstadien des Bluthochdrucks systematisch hervorgehoben werden, wie Prof. Voigtländer betont. Denn damit lassen sich besser die fortschreitenden Schäden an Organen wie Herz, Hirn und Nieren bei einem unbehandelten Bluthochdruck vor Augen führen. „Wir möchten Patienten im Gespräch keine Angst machen. Dennoch unterschätzen viele die Folgen ihres Bluthochdrucks – bis es zu spät ist und zum Beispiel ein Herzinfarkt eingetreten ist oder die Nieren schwer geschädigt sind“, so der Kardiologe. Die Stadieneinteilung könne in der Kommunikation helfen, dass Betroffene die Notwendigkeit von Lebensstiländerungen und gegebenenfalls einer medikamentösen Behandlung verstehen und akzeptieren.
Das ist die Einteilung:
- Stadium I: unkomplizierte Erkrankung, bei der noch keine merklichen Organschäden vorliegen (gilt auch bis zu einer Nierenerkrankung Grad 1 und 2)
- Stadium II: leichte Organschäden sind erkennbar, etwa der Beginn einer chronischen Nierenerkrankung (Grad 3), oder das zusätzliche Vorliegen von Diabetes mellitus
- Stadium III: es liegen bluthochdruckbedingte kardiovaskuläre Erkrankungen vor oder eine fortgeschrittene chronische Nierenerkrankung (Grad 4 und 5)
Was ist noch neu und wichtig:
- Als Risikofaktoren für Bluthochdruck werden erstmals Schlafstörungen (inklusive Schlaf-Apnoe), Migräne und Depression genannt sowie chronische entzündliche Erkrankungen oder chronische Infektionen (inklusive Covid-19) und eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NASH).
- Darüber hinaus werden Umweltbelastungen durch Lärm und Luftverschmutzung, ein Migrationshintergrund sowie die geschlechtsangleichende Hormontherapie bei transsexuellen Menschen als Risikofaktoren diskutiert.
- Es werden zwei neue Maßnahmen für einen blutdruckgesunden Lebensstil empfohlen: Antistresstrainings wie Yoga und autogenes Training
- Es wird explizit der Nutzen einer salzarmen und vor allem einer kaliumreichen Ernährung betont, da Kalium eine blutdrucksenkende Wirkung hat: Hierzu sollten vier bis fünf Portionen von kaliumreichem Obst und Gemüse pro Tag gegessen werden.
Herztipp: Patienten, die mit zur Gerinnungshemmung mit Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar behandelt werden, müssen hier natürlich vorsichtiger sein, um ihre INR-Einstellung nicht durcheinander zu bringen. Die Empfehlung zur erhöhten Kaliumaufnahme gilt zudem nicht für Menschen mit einer fortgeschrittenen chronischen Nierenkrankheit (CKD). - In der Behandlung von Patienten mit therapieresistentem Bluthochdruck wird die renale Denervation als Option zur Ergänzung oder Alternative zu einer Dosiserhöhung der Medikation aufgenommen. Sie sollte aber nur in spezialisierten Zentren erfolgen.
Experte
Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung e.V., Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses Frankfurt a. M. und Mitglied im Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) Frankfurt a. M. Zu den Schwerpunkten des Herzspezialisten zählen u. a. die interventionelle Kardiologie und nichtinvasive Bildgebung.
Informationen Bluthochdruck
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Bluthochdruck-Broschüre (2021)
PDF: 7,47 MB -
Blutdruck-Pass
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Hoher Blutdruck - Entspannungstechniken (2019)
PDF: 2,56 MB
Leider sind Blutdruckmessgeräte schon seit vielen Jahren nicht mehr eichpflichtig und deshalb nicht geeicht. Messgerät in ärztlichen Praxen müssen allerdings regelmäßig geprüft werden, das machen sogenannte messtechnische Kontrolldienste (MTK).
Hallo Herr Dr.Szent-Ivanyi,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Da haben Sie recht, daher rät die Deutsche Herzstiftung durch Kontrollmessungen bei Hausarzt zu prüfen, ob dass das Gerät zuverlässige Werte ermittelt.
Viele Grüße
Ihre Deutsche Herzstiftung
Meine Blutdruck am Handgelenk ist 20mmHg niedriger als Messung am Oberarm??
Hallo Herr Ayoob,
Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Thema! Hier finden Sie eine ausfürhliche Antwort auf Ihre Frage, ob die Messung am Handgelenk eine gute Alternative ist.Sollten Sie darüber hinaus noch weitere Fragen, können Sie sich gerne an unsere Sprechstunde (sprechstunde@herzstiftung.de) wenden. Dort steht Ihnen unser engagiertes Team zur Verfügung und wird sich bemühen, Ihnen so schnell wie möglich zu antworten.
Wir wünschen Ihnen alles Gute.
Ihre Deutsche Herzstiftung