Schwieriger Start ins Leben
Moin, ich bin im August 1975 mit einem schweren Herzfehler auf die Welt gekommen, der allerdings erst 6 Tage später diagnostiziert wurde. Also ich bin normal geboren und da es vor fast 50 Jahren noch keine Pränataldiagnostik gab, dachte man zuerst, das Mädel ist gesund. Kann sich halt nur nicht der Welt anpassen, ist halt so! Aber leider lief ich im Krankenhaus sechs Tagen später blau an und da kamen die Diagnose und der Schock für meine Familie: schwerer Herzfehler (TGA) mit offenem Ductus Botalli. Somit wurde ich mit Krankenwagen nach Göttingen in die damalige Kinderkardiologie gebracht, Babynotarztwagen gab es noch nicht. In Göttingen wurde zuerst ein Herzkatheter bei mir gemacht und drei Monate später ein Rhaskindmanöver. Dass Eltern bei ihren Kindern im Krankenhaus nächtigen konnten, gab es damals noch nicht, sondern ich wurde durch die Scheibe gezeigt. Es gab weder einen psychosozialen Dienst noch Selbsthilfegruppen. Meine Eltern mussten allein klarkommen.
Doch auch nach diesem Eingriff war ich weiterhin blau und konnte mich nicht bewegen. Essen und Trinken waren schwierig, weil mein Körper einfach nicht richtig durchblutet wurde. Was meine Eltern mir einflößten, kam zudem leider wieder heraus. Immerhin konnte ich schreien. So ging das eineinhalb Jahre. Und dann kam der Tag im Februar 1977: Die große Vorhofumkehr-Op nach Mustert, wo es wirklich um Leben und Tod ging.
Die zweite Op – ein kleines Wunder
Ein norwegischer Arzt operierte mich sechs Stunden zusammen mit deutschen Ärzten. Wie Sie sicherlich wissen, ein gefährlicher Eingriff – und ich überlebte ihn. Und sobald ich aus der Narkose aufwachte, aß ich auf einmal Schokoladenpudding. Und trank. Ein großes Wunder war geschehen! Zurück blieb eine Zwerchfellparese links. Aber egal, das Mädel lebt und hat eine rosige Farbe.
Wieder so weit genesen und wieder zu Hause bei meinen Eltern und meinem dreijährigen Bruder kam ich in die Frühförderung und machte alles nach, was meine Brüder und Neffen im ersten Lebensjahr lernten! Zur Unterstützung erhielt ich Bobath-Physiotherapie. Und als ich dann laufen konnte, kam ich in den Förderkindergarten. War so weit ok. Aber leider merkten die Erzieher, dass ich dort unterfordert war. Ja, und so kam ich mit fünf Jahren in den Regelkindergarten. Und das war echt super!
Ich konnte soweit es ging mit den Kindern mithalten und hatte zum ersten Mal Freundinnen. Schon im Förderkindergarten hatte ich zudem Spaß an der Musik. Und da meine Familie sehr musikalisch ist, hatte auch ich früh Interesse daran und möchte immer gerne singen. Mit sieben Jahren erhielt ich zudem wie mein großer Bruder Blockflötenunterricht bei unserer Nachbarin und Patentante von mir.
Die Kontrolluntersuchungen in Göttingen verliefen immer positiv. Obwohl diese Geräte wie Röntgen oder EKG für uns Herzkinder der ersten Generation regelrechte Ungeheuer waren! Der weiße Kittel der Ärzte verleitete mich zu enormen Brüllattacken. Das war einfach schrecklich, diese kalte Schürze beim Röntgen und dieser dicke Eisenbalken auf die zarte Kinderbrust gedrückt und festgeschnallt zu werden mit Kinderkacke- gelben Schnallen. Nach den Prozeduren ging es dafür immer in die Göttinger Innenstadt: zuerst in die Nordsee, Pommes essen! Dann meist zu Karstadt oder C&A und dann noch in die Eisdiele am Gänseliesel. Genau das Gleiche mache ich heute noch nach meinen Kontrollterminen – nur ohne Brüllen bei den Ärzten.
Schule war nicht immer einfach
Zurück zu meinem Werdegang: Da ich mich wegen meines Herzfehlers später entwickelt habe, wurde ich erst mit acht Jahren eingeschult – aber in die Regelschule. Soweit es ging, kam ich auch mit im Unterricht. Leider hatte ich enorme Konzentrationsstörungen. Zudem wurde ich von Schulkameraden gemobbt. Ok, war auch nicht ganz unschuldig, ich verstand es durchaus, ebenfalls zu trietzen. In der 4. Klasse wurde es zunehmend schwieriger mit meinen Schulleistungen. Und so wurde meinen Eltern nahegelegt, ob ich nicht besser in einer Förderschule aufgehoben wäre oder in einer Körperbehindertenschule. Für die Förderschule war ich zu gut, weil ich ja einwandfrei Lesen, Schreiben und das 1x1 konnte! Die Körperbehindertenschule besichtigten wir gemeinsam mit meiner Lehrerin und ich nahm an drei Tagen am Unterricht teil. Aber leider war ich zu gut und so wiederholte ich die 4. Klasse. Und die Leistungen wurden besser! Nebenbei sang ich im Kinderchor mit und machte ohne Probleme bei den Aufführungen mit.
Nur beim Sport machte sich meine Behinderung am Herzen schon bemerkbar. Und so wurde der Sport auch nicht benotet. Dafür konnte ich ab sieben Jahren einwandfrei auf zwei Rädern fahren – bis heute. Und ich liebe es, Schwimmen zu gehen, auch wenn es mir als Kind zunächst verwehrt wurde, den Freischwimmer zu machen. Das war vor 40-50 Jahren noch so. Zurück zur Schule. Zunächst kam ich auf die Hauptschule, was sich wieder für mich schwieriger gestaltete, als ich dachte. Dann zogen wir nach Celle, wo mein Vater als Erzieher an einem Internat mit Gymnasium arbeitete und dann an einem Kinderheim, wo wir zusammen als Großfamilie mit sieben Kindern wohnten. Das war eine sehr interessante Zeit. Für mich als Herzkind hieß das: unterordnen. Mit einem Lehrerwechsel ab der 9. Klasse wurde es besser für mich an der neuen Schule und ich schaffte den Hauptschulabschluss, besuchte dann das BGJ Hauswirtschaft.
Suche nach einem Kardiologen für Teenager
Doch dann traten wieder Probleme an meinen Herzen auf und auch ein neues großes Problem: Wohin zu welchem Arzt? Wir versuchten es zunächst bei einem Erwachsenenkardiologen in Celle. Das war sehr schwierig, doch er gab uns den Hinweis auf einen Arzt an der MHH, der sich mit angeborenen Herzfehlern auskannte! Im Mai 1993 fuhr ich mit meinem Vater dorthin und wir waren sehr begeistert. Leider hatte der Arzt nicht so gute Nachrichten, was mein Herz betraf. Die Rede war schon zu dieser Zeit von einem Herzschrittmacher – für mich als 17-jähriger pubertärer Teenie eine Horrorvorstellung! Allerdings merkte ich beim Radfahren, Laufen und Schwimmen, dass ich nicht gut Luft bekam. Trotzdem genoss ich die Sommerferien und den gemeinsamen Urlaub mit meiner Familie. Nach den Ferien ging ich nach wie vor zur Berufsschule, wurde 18. Doch das BGJ war nicht einfach, in der Praxis war ich wesentlich langsamer als meine Mitschüler. Eine Lehrerin besaß dann die Frechheit zu meiner Mutter auf einer Elternversammlung zu sagen: Ja, ihre Tochter will nicht!
Und dann kam bei einem Kontrolltermin auch noch die Diagnose: obere Hohlvene verengt. Also wurde mir im November 1993 in sechs Stunden die obere Hohlvene erfolgreich erweitert. Nach dem Eingriff ging es mir wieder besser und ich machte das BGJ zu Ende. Nun war Berufswahl ein großes Thema. Ausgerechnet meinen Wunschberuf Krankenschwester konnte ich nicht lernen – einerseits wegen des Herzfehlers, aber auch weil mein Hauptschulabschluss nicht reichte. Und so lernte ich Hauswirtschafterin, bestand alle Prüfungen und bekam den Gesellenbrief. Ich war sehr stolz, einen Beruf gelernt zu haben. Doch ich konnte keine Stelle finden, um Berufserfahrung zu sammeln: viele Bewerbungen und überwiegend Absagen. Außerdem wechselte mein Kardiologe aus Hannover nach München. Mit der neuen Ärztin kam ich nicht klar.
So wechselte ich schließlich 1999 wieder nach Göttingen, weil es dort eine Empfehlung für einen passenden Arzt gab. Leider kam auch dort das Thema Herzschrittmacher auf. Dennoch arbeitete ich zunächst einige Jahre in einem Altenheim in Celle, bis ich dort aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Seit nun 19 Jahren beziehe ich EU-Rente und arbeite solange nun schon in der Lebenshilfe.
Zwischenzeitlich hatte ich dabei sogar schlicht und einfach vergessen, dass auch ein gut operiertes Herz mal schlapp machen kann. Das erlebte ich dann zum ersten Mal mit 34 Jahren: Bei einer Kontrolluntersuchung in Göttingen wurde ich mit der Diagnose beginnender Herzschwäche überrascht. Aber gut, dagegen bekam ich Enalapril und fuhr mit der Kantorei auf Konzertreise nach Polen. Im darauffolgenden Jahr 2010 wieder Kontrolle: Nach 17 Jahren war wieder die obere Hohlvene verengt. Also wurde sie im Oktober 2010 erneut erweitert.
Herzrhythmusstörungen – ein Defi wird nötig
Doch ich genoss mein Leben weiter, bis ich 2011 von Herzrhythmusstörungen überrascht wurde. Ein Defi blieb mir auch diesmal erspart und ich erhielt zunächst nur Medikamente. Die heftigen Herzaussetzer um Weihnachten herum ignorierte ich. Im Mai 2014 kam dann bei einer Kontrolluntersuchung die Diagnose: Herzinsuffizienz. Nachdem der Schock überwunden war, genoss ich den Sommer, fuhr zu meiner Freundin in die Schweiz und tanzte mich durch die WM 2014. Im September gesellte sich noch Vorhofflimmern hinzu und als ich nach Göttingen fuhr, hieß es, ich sei Schlaganfall-gefährdet. Die Lage spitzte sich weiter zu: Ich erhielt Heparin und eine Ablation, zum Jahresende wurden dann im Langzeit-EKG lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen festgestellt. Diesmal war dann die Implantation eines Defibrillators unumgänglich. Mit Medikamenten versorgt, wurde ich eine Woche später entlassen. Allerdings machte das Antiarrhythmikum Propafenon Probleme, ich bekam wieder Vorhofflimmern und weitere Ablationen, bis endlich 2017 nach etlichen Turbulenzen mit Hilfe von Ärzten in der Kinderkardiologie in Göttingen wieder alles ins Lot kam.
Das Leben ist kostbar!
Ich genieße inzwischen mein Leben in vollen Zügen so sehr, dass ich vergesse, dass ich schon zu den Alten gehöre. Mittlerweile habe ich 2020 einen dritten Neffen bekommen: alle drei halten mich ganz schön auf Trab. Manchmal muss ich sie ein bisschen bremsen, dass man an mir nicht so herumklettern kann. Aber ich habe ganz schön Ausdauer! Und auch die Musik kommt nicht zu kurz. Und so werde ich nächstes Jahr 50! Leider muss ich feststellen, dass ich nur noch eines der wenigen Herzkinder der ersten Generation bin. Das tut schon weh zu hören, wer alles gestorben ist. Aber gut, so ist halt das Leben. Ich kann nur an die alten Herzkinder appellieren: Genießt weiter das Leben, denn es ist kostbar! Wir sind nämlich ganz besonders normal. Wie die 2. Hälfte meines Lebens verläuft, entscheidet der liebe Gott. Aber so wie es aussieht, lässt er mich auch weiterhin durch die Welt herumtanzen. Ich will doch erleben, wie meine Neffen erwachsen werden!
Danke!
Wir möchten uns herzlich bei Marieke S. aus Delmenhorst (Name geändert) bedanken, dass sie uns an ihrer persönlichen Erfahrung teilhaben lässt. Bitte beachten Sie, dass die in den Patientengeschichten enthaltenen Informationen keine ärztliche Diagnose oder Behandlung ersetzen. Sie dienen ausschließlich einem informellen Austausch und sollen weder zur Selbstdiagnose noch zur Selbstbehandlung auffordern.