Die Sprechstunden-Frage im Wortlaut:
Meine Tochter Vanessa kam im Mai 2012 mit einem mehrfach fehlgebildeten Herzen zur Welt: Transposition der großen Arterien (TGA), Vorhofscheidewanddefekt (ASD) und muskulärer Kammerscheidewanddefekt (VSD). Sie wurde schon eine Woche nach der Geburt operiert. Jetzt hat Vanessa noch einen apikalen und muskulären VSD, eine Nierendysplasie, eine Beckenniere mit Megaureter und Hydronephrose links, eine Ureterokutaneostomie links (künstlicher Ausgang für den linken Harnleiter) und eine Niereninsuffizienz. Im November 2012 haben die Ärztinnen und Ärzte bei Vanessa eine Herzinsuffizienz durch Non-Compaction-Kardiomyopathie festgestellt. Jetzt bekommt sie Betablocker (Carvedilol 2-mal täglich 1 mg). Wenn Vanessa herumtobt, stark weint oder eine Infektion hat, fängt sie schnell an zu schwitzen, teilweise auch mit sehr kaltem Schweiß. Hände und Füße werden immer als erstes kalt. Seit Kurzem hat sie einen Schwerbehindertenausweis mit 70 % und Pflegestufe 1. Da diese Erkrankung noch nicht so gut erforscht ist, wende ich mich mit meinen Fragen an Sie:
- Was müssen wir bei dieser Erkrankung beachten?
- Welchen Verlauf nimmt sie?
- Wie viel Anstrengung ist für Vanessa erlaubt?
- Welche Folgen sind für das weitere Leben unserer Tochter zu erwarten?
Ich hoffe, Sie können mir ein wenig weiterhelfen, damit ich und mein Lebensgefährte besser mit der Erkrankung unserer Tochter umgehen und etwas entspannter sein können. (Andrea W., Erfurt)
Experten-Antwort:
Zu dem bisher erfolgreichen Verlauf bei Ihrer Tochter, die mit einem schweren Herzfehler und weiteren angeborenen Fehlbildungen vor jetzt fast 2 Jahren zu Welt gekommen ist, möchte ich Ihnen zunächst einmal herzlich gratulieren. Dies war sicher nicht einfach, weder für Vanessa noch für Sie als Eltern. Bei der im Alter von 7 Monaten zusätzlich diagnostizierten seltenen Anlagestörung der Herzmuskulatur in Form einer sog. Non-Compaction-Anomalie handelt es sich, wie Sie inzwischen sicher wissen, um einen zu lockeren, „schwammigen“ Aufbau des Herzmuskels. Das Herz kann daher deutlich weniger Kraft entfalten als normal. Diese ebenfalls angeborene Strukturanomalie des Herzmuskels tritt in der Mehrzahl der Fälle isoliert, d. h. ohne einen sonstigen Herzfehler auf, und ist in diesen Fällen wohl genetisch bedingt. Nur in etwa 10–15 % der Fälle finden sich derartige Veränderungen des Herzmuskels auch bei Kindern mit einem angeborenen Herzfehler im klassischen Sinn, wie bei Ihrer Tochter z. B. der TGA. Bis heute ist nicht geklärt, ob eine Non-Compaction bei weiteren angeborenen Herzfehlern über die gleichen Mechanismen entsteht wie die isolierte Form. Die Auswirkungen auf das Herz sind aber nach heutigem Wissen zunächst einmal gleich. In einzelnen Fällen von Non-Compaction, die mit einem weiteren Herzfehler einhergeht, wurde allerdings im Verlauf der Entwicklung über eine – wenn auch nicht immer anhaltende – spontane Stabilisierung berichtet. Dies war auch bei zwei meiner eigenen Patienten der Fall.
Die häufigsten Auswirkungen einer Non-Compaction-Kardiomyopathie zeigen sich in der Regel:
- in Form einer wechselnd stark ausgeprägten, im Verlauf aber eher zunehmenden Herzinsuffizienz (Pumpschwäche) des betroffenen Herzmuskelgewebes,
- im häufigen Auftreten oft nicht unbedeutender Herzrhythmusstörungen mit Ursprung in der betroffenen Herzkammer (sog. ventrikuläre Tachykardien) sowie
- in der möglichen Ausbildung von Blutgerinnseln im Herzen, die dann zu embolischen Verengungen oder Verschlüssen von Arterien des Körpers führen können.
Diese Erscheinungen müssen bei jedem betroffenen Kind im Einzelfall und individuell behandelt (z. B. Betablocker) oder prophylaktisch (z. B. Gerinnungshemmer) angegangen werden Ihr Kind kann sich im eigentlichen Sinne nicht selbst überanstrengen und kann auch in seinen eigenen natürlichen Bemühungen hierin von Ihnen unterstützt werden. Jede zusätzliche, von außen von ihm abverlangte körperliche Anstrengung (z. B. Kinderturnen in Gruppen usw.) sollte aber vermieden werden. Die kardiologische Beobachtung und Kontrolle Ihres Kindes sollte sich am Verlauf orientieren und engmaschig an einem speziellen kinderkardiologischen Herzzentrum erfolgen. Dort sind Sie vermutlich schon jetzt in Behandlung. Auch wenn gelegentlich Rückschläge auftreten sollten – nehmen Sie die Entspannung für sich und Ihre Familie aus der täglichen Freude, auch über kleine Erfolge und Fortschritte Ihrer Tochter. Hierzu kann evtl. auch die Durchführung einer sog. „familienorientierten Rehabilitation“ beitragen, die Sie über den Sozialdienst Ihres Herzzentrums beantragen können.
Experte
Prof. Dr. med. Herbert E. Ulmer, stv. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung e. V. Der Mediziner baute das Zentrum für herzkranke Kinder in Heidelberg mit auf und war 18 Jahre lang als dessen Ärztlicher Direktor tätig. Mittlerweile ist er im Ruhestand.