Die Sprechstunden-Frage im Wortlaut:
Unser Sohn Ludwig wurde vor 21 Jahren im Alter von zwei Wochen wegen einer Fallot’schen Tetralogie operiert. Vor elf Jahren erhielt er ein Rindervenenconduit als Ersatz für die Pulmonalklappe. Jetzt steht kurzfristig eine weitere Operation an dieser Klappe an. Uns beschäftigen daher zahlreiche Fragen:
- Was sind Edwards-SAPIEN-Klappe, Melody-Klappe, pulmonaler Homograft? Welche Stents werden dabei verwendet?
- Sind heute schon aus Eigenzellen gezüchtete oder zumindest damit beschichtete Klappen im Einsatz? Wenn ja, an welchen Kliniken und mit welcher Erfahrung?
- Gibt es Alternativen zu einer Untersuchung mit dem Herzkatheter? An welchen Kliniken werden sie ggf. durchgeführt?
- Wo wird für EMAH-Patienten psychologische Hilfe im Zusammenhang mit der Operationsvorbereitung, aber auch insgesamt mit der Lebenssituation angeboten? (Familie O., Essen)
Experten-Antwort:
Daraus, dass Ihr Sohn schon im Alter von zwei Wochen zum ersten Mal operiert wurde und nach zehn Jahren eine Nachoperation erforderlich war, schließe ich, dass bei ihm eine schwerere Form der Fallot’schen Tetralogie vorliegt. Offensichtlich ist es jetzt, elf Jahre nach der Implantation eines sog. Contegra-Grafts, zu Veränderungen an diesem Conduit gekommen, sodass ein weiterer Revisionseingriff an dieser Stelle des Herzens empfohlen wurde. Das kommt leider nicht selten vor (siehe Sonderdruck aus dem Jahr 2015). Zu Ihren Fragen:
- Die Edwards-SAPIEN-Klappe ist eine in einen Metallstent eingesetzte biologische Klappe aus Gefäßmaterial vom Rind. Sie hat einen relativ großen Durchmesser und ist eigentlich nur vorgesehen für isolierte Aortenklappen beim Erwachsenen. Die erste offizielle Zulassung erfolgte in den USA erst im Oktober 2012. Die Melody-Klappe ist ebenfalls eine biologische Klappe in einem Stent aus Metall. Sie wird hauptsächlich in einer Situation verwendet, wie sie vermutlich bei Ihrem Sohn vorliegt. Das Einsetzen dieser Klappe ist aber nur sinnvoll, wenn kein zusätzlicher Eingriff notwendig ist, z. B. an den Gefäßen der Lungenschlagader. Leider ist dies aber, vor allem wenn die Erstoperation sehr früh stattgefunden hat, nicht selten der Fall. Bei diesem Klappentyp darf mit einer mittleren Haltbarkeitsdauer von zehn bis zwölf Jahren gerechnet werden. Ein pulmonaler Homograft schließlich besteht ausschließlich aus biologischem Material vom Menschen und hat keinen Metallstent. Damit liegen bisher die meisten Erfahrungen in derartigen Situationen vor. Ist der Patient bei der Implantation etwa 20 Jahre alt, darf mit einer Funktionsdauer von im Mittel etwa 20 Jahren gerechnet werden.
- Der klinische Einsatz von Herzklappen aus gezüchtetem Eigengewebe des Patienten befindet sich derzeit noch im Experimentalstadium. Dieses Vorgehen ist im Übrigen auch mehr für isolierte Klappendefekte gedacht, weniger bei komplexen Herzfehlern. Die von Ihnen genannten kathetermontierten Klappen werden derzeit in Deutschland an etwa fünf bis sieben großen Kinderherzkliniken eingesetzt, die dafür extra lizensiert sein sollten. Da kaum ein Zentrum bisher mehr als zehn Klappen eingesetzt hat, liegt nur wenig Erfahrung vor, und es gibt begreiflicherweise keine zuverlässigen Vergleichsstudien.
- Bildgebende Verfahren wie z. B. die MRT-Angiographie (Magnetresonanztomographie) oder die CT-Angiographie (Computertomographie mit Röntgenstrahlen) gibt es an allen Kliniken, an denen diese Klappen eingesetzt werden. Diese zweifellos aussagekräftigen Untersuchungen sollten meines Erachtens bei Ihrem Sohn aber nicht alternativ, sondern zusätzlich zu einer Katheteruntersuchung eingesetzt werden, um die Diagnostik und das operative Vorgehen noch sicherer zu machen.
- Eine psychologische Vorbereitung auf eine anstehende Operation erscheint mir nur an der Einrichtung sinnvoll, an der die Operation anschließend auch erfolgen soll. Diese Kliniken sind darauf auch vorbereitet.
Eine Liste der zertifizierten EMAH-Zentren finden Sie hier.
Experte
Prof. Dr. med. Herbert E. Ulmer, stv. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung e. V. Der Mediziner baute das Zentrum für herzkranke Kinder in Heidelberg mit auf und war 18 Jahre lang als dessen Ärztlicher Direktor tätig. Mittlerweile ist er im Ruhestand.