Die Sprechstundenfrage im Wortlaut:
Vor 10 Tagen wurde unsere Tochter Lisa mit einem großen Ventrikelseptumdefekt (VSD; ein Loch in der Scheidewand zwischen beiden Herzkammern) mit Links-Rechts-Shunt geboren (Geburtsgewicht: 2930 g, Größe: 47 cm). Der Herzfehler war bereits in der 22. Schwangerschaftswoche im Rahmen eines Organultraschalls festgestellt worden. Unsere Tochter liegt nun auf der Kinderintensivstation eines städtischen Klinikums, das einen Kinderkardiologen beschäftigt. Dort wird sie auf Medikamente eingestellt. Nach der Geburt wurde festgestellt, dass die linke Herzkammer etwas kleiner ist als die rechte und der VSD etwa 6 bis 8 mm misst.
Auf eine Operation in einem Herzzentrum haben wir uns eingestellt und sind darauf vorbereitet. Derzeit bekommt unsere Tochter ein Medikament, das den Blutdruck senkt und ein weiteres, das den Flüssigkeitshaushalt reguliert. Nun soll zusätzlich ein Wirkstoff zur Entlastung des Herzmuskels eingesetzt werden. Leider lässt aus unserer Sicht die Betreuung von uns Eltern durch die behandelnden Ärzte sehr zu wünschen übrig. Der Umgang mit uns wirkt teilweise chaotisch. Als absolute medizinische Laien sind wir sehr in Sorge, denn die Intensivstation scheint uns nicht für solche Herzfehler gerüstet zu sein. Wir haben den Eindruck, dass sich der Herzfehler mittlerweile deutlich auswirkt, denn unsere Tochter atmet schnell und tief, bekommt beim Trinken einen roten Kopf, verschluckt sich häufig und erschlafft sehr rasch. Bis zu dem Termin im Herzzentrum sind wir in Sorge, ob die derzeitige Behandlung angemessen bzw. die beobachtete Reaktion unseres Kindes üblicherweise zu erwarten ist. Können durch die Medikamente andere Organe wie Gehirn, Lungen, Leber oder Nieren nachhaltig beeinträchtigt werden? (Wolfgang und Julia H., Gera)
Expertenantwort:
Der Ventrikelseptumdefekt Ihrer Tochter hat sich rasch als bedeutsam erwiesen. Das ist bei einer Größe von 6 bis 8 mm nicht verwunderlich. Über dieses Loch gelangt viel Blut, das eigentlich über die Aorta in den Körperkreislauf gepumpt werden soll, zurück in die rechte Herzkammer („Links-Rechts-Shunt“) und wird von da aus erneut in den Lungenkreislauf gepumpt. Damit die Organe dennoch genügend sauerstoffreiches Blut bekommen, muss vor allem die linke Herzkammer sehr viel mehr Blut pumpen als sonst. Die wichtigsten Veränderungen im Blutkreislauf Ihrer Tochter spielen sich aber wie bei jedem Neugeborenen in den ersten 6 bis 8 Wochen an den Lungengefäßen ab. Diese haben vor der Geburt einen kleinen Durchmesser. Nach der Geburt weiten sie sich und können mehr Blut aufnehmen als vorher. Dies ist vor allem der Fall, wenn wegen eines Ventrikelseptumdefekts mehr Blut als üblich durch die Lungen gepumpt wird. Die gerade während dieser Zeit auftretenden und zunehmenden Beschwerden Ihrer Tochter in Form einer Herzschwäche sind also nichts Unerwartetes oder Ungewöhnliches. Alle Medikamente, die sie derzeit bekommt, dienen der
Unterstützung und Entlastung des Herzens und sind daher notwendig. Sehr kleinen und schwachen Neugeborenen muss man gelegentlich sogar die Atemarbeit abnehmen und sie vorübergehend künstlich beatmen. Um nichts zu übersehen oder zu verpassen, ist anfangs häufig eine Intensivüberwachung und ‑pflege nötig.
Anders als in den meisten städtischen Kliniken steht an Ihrem Krankenhaus für die Überwachung und Steuerung dieser Behandlung ein Kinderkardiologe zur Verfügung, sodass Ihre Tochter und Sie dort gut versorgt sind. Intensivmedizin erscheint allerdings Kindern und Eltern, die damit vorher nicht in Berührung gekommen sind, anfangs gelegentlich eher wie ein „Bahnhof“. Doch dahinter stehen sehr strikte und geordnete Abläufe, die für den Betrieb einer Intensivstation nötig sind. Selbstverständlich darf dabei die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleiben – sie drückt sich aber dort manchmal auf eine Art aus, die Eltern mit Ihren Sorgen gerade nach so kurzer Zeit nicht wahrnehmen können. Prinzipiell könnte der VSD Ihrer Tochter, sofern er die einzige Anomalie am Herzen ist, schon jetzt operiert werden. Die Belastung und das Risiko für Lisa sind aber zum jetzigen Zeitpunkt sicher etwas höher einzuschätzen, als wenn der Eingriff erst in einiger Zeit, d. h. in etwa 2 bis 3 Monaten, erfolgt. In dieser Hinsicht wird Sie aber sicher der Leiter dieses Zentrums beraten, dem Lisa ja bald vorgestellt werden wird.
Experte
Prof. Dr. med. Herbert E. Ulmer, stv. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung e. V. Der Mediziner baute das Zentrum für herzkranke Kinder in Heidelberg mit auf und war 18 Jahre lang als dessen Ärztlicher Direktor tätig. Mittlerweile ist er im Ruhestand.