Die Suche nach dem „Jungbrunnen“ ist fast so alt wie die Menschheit. Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung in Zeitschriften und im Internet, entsteht der Eindruck, mit dem altbekannten Antidiabetikum Metformin sei eine Möglichkeit gefunden worden, Prozessen der Alterung sowie dem Entstehen von Demenz, Krebs und Herzerkrankung vorzubeugen. Lesen Sie hier, was Metformin tatsächlich bewirkt – und was nicht.
Was ist Metformin?
Metformin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Biguanide, der in der Regel bei Patienten mit nichtinsulinabhängiger Zuckerkrankheit (sogenannter Typ-2-Diabetes) eingesetzt wird – insbesondere bei gleichzeitig bestehendem Übergewicht. Es ist das am längsten bekannte und am häufigsten eingesetzte orale Antidiabetikum und zur Zeit in Deutschland das einzige zugelassene Medikament seiner Art. Seine Fähigkeit, den Blutzuckerspiegel und auch das Gewicht zu senken, ist unbestritten.
Im Wesentlichen beruht die Wirkung bei Patienten mit Diabetes darauf, dass Metformin in der Leber dem Entstehen von Glucose entgegenwirkt. Gleichzeitig wird die Aufnahme von Glucose ins Blut im Darm reduziert, dafür die Aufnahme in periphere Gewebe (etwa Skelettmuskulatur und Fettzellen) gesteigert. Auch wenn die zellulären Mechanismen nicht im Detail geklärt sind, sorgt doch der nachgewiesene blutzuckersenkende Effekt dafür, die Langzeitschäden des Diabetes in Grenzen zu halten: Denn erhöhte Blutglucose-Werte führen auf Dauer zu einer tiefgreifenden Schädigung der Gefäße und begünstigen das Entstehen von Herzinfarkt und Schlaganfall. So wurde in der wichtigen UKPDS-Studie (2) nachgewiesen, dass eine frühzeitige Metformin-Therapie das Risiko von Herzinfarkten eindeutig senkt. In weiteren Studien konnte der Überlebensvorteil von Typ-2-Diabetikern unter Metformin bestätigt werden.
Pluspunkte bei der Behandlung mit Metformin sind:
- die langjährigen (guten) Erfahrungen mit diesem Medikament (Verbesserung Langzeitblutzucker/HbA1c, Gewichtsreduktion, keine Hypoglykämiegefahr)
- die meist gute Verträglichkeit. Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten kommt es dosisabhängig zu Magen-Darm-Beschwerden. Gefährliche Nebenwirkungen (Laktatazidose) sind relativ selten.
- die geringen Kosten
Nicht gegeben werden darf Metformin bei Patienten mit stark einer geschränkter Nieren- und Leberfunktion sowie bei Patienten mit akuter und instabiler Herzschwäche.
Welche weiteren Effekte werden Metformin nachgesagt?
Im Rahmen der zahlreichen Studien (1), die mit Metformin durchgeführt wurden, hat man zusätzliche günstige Wirkungen beobachtet, die Metformin fast zu einer „Wunderdroge“ machen könnten. Mögliche positive Effekte sind Hinweisen zufolge vor allem:
- ein längeres Leben
- weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere weniger Schlaganfall und weniger Herzinfarkte
- weniger Krebserkrankungen
- weniger Alzheimerdemenz
Und hier kommt auch gleich das Aber: Diese Beobachtungen müssen sich auch in größeren Studien mit Patienten ohne Diabetes bestätigen lassen.
Rechtfertigen Studiendaten das Label „Wunderdroge“?
Wirkung gegen das Altern
Auslöser einer wahren Hype um Metformin waren hier vor allem tierexperimentelle Befunde. So hat Metformin bei verschiedenen Tierspezies, u.a. bei Taufliegen und bei Mäusen, das Leben verlängern und die Zellteilung hemmen können. (1) Die vielversprechenden Versuchsergebnisse haben dazu geführt, dass Metformin auch von älteren Nichtdiabetikern in der Vorstellung eingenommen wird, das Leben zu verlängern und das Risiko schwerwiegender Alterserkrankungen zu minimieren.
Ernüchternde Ergebnisse
Bislang gibt es allerdings keine prospektiven, gut angelegten Studien bei Nichtdiabetikern, in denen diese günstigen Wirkungen im Vergleich zu Placebo (Scheinmedikament) oder einem anderen Medikament nachgewiesen wurden.
Im Gegenteil, weitere tierexperimentelle Befunde waren ernüchternd! Nach den Ergebnissen weiterer Studien an Würmern, Mäusen und menschlichen Zellkulturen kamen Forscher zu dem Schluss, dass Metformin, bei jüngeren Tieren verabreicht, die Lebensdauer verlängert, bei älteren dagegen verkürzt. Die Autoren dieser Studie, die hochrangig publiziert wurde, führen die ungünstigen Effekte von Metformin im hohen Lebensalter darauf zurück, dass durch dieses Medikament eine Kaskade von Stoffwechseleffekten induziert wird, die zum tödlichen Zerfall von Mitochondrien (Zellbestandteil, auch als „Kraftwerk“ der Zelle bezeichnet), zur Erschöpfung der ATP-Vorräte (Energiestoff in Zellen) und schließlich zum Zelltod führt. (3)
Die US-amerikanischen TAME-Studie mit 3000 Probanden soll untersuchen, ob Metformin möglicherweise doch als Anti-Aging-Medikament bei Nichtdiabetikern taugt. Noch liegen dazu keine Ergebnisse vor.
Eine Anwendung von Metformin im höheren Lebensalter scheint daher zwecks Verlängerung der Lebenszeit derzeit nicht nur nicht gerechtfertigt, sondern problematisch.
Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall bei Nicht-Diabetikern
Viele Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 sterben frühzeitig an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall. Nach den Ergebnissen der großen US-amerikanischen UKPDS-Studie aus dem Jahr 2012 schützt Metformin zwar Patienten mit Typ-2-Diabetes besser vor einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall als andere Medikamente gegen Diabetes, wie Sulfonylharnstoffe oder Insulin. Und auch die experimentellen Befunde sprechen für eine Schutzwirkung von Metformin in Herzinfarktmodellen – unabhängig vom Einfluss von Metformin auf den Kohlehydratstoffwechsel. Der nachgewiesene vorteilhafte – eventuell sekundäre – Effekt auf das Gefäßendothel wird von Wissenschaftlern als eine Art „anti-aging“ für die Gefäße bei Diabetes interpretiert.
Doch als in einer Studie bei Nichtdiabetikern überprüft wurde, ob 2 x 500 mg Metformin am Tag im Vergleich zu Placebo den Verlauf eines Herzinfarkts (STEMI) günstig beeinflusst, war das Ergebnis ernüchternd: Metformin hatte keinen zusätzlichen günstigen Effekt auf die linksventrikuläre Funktion und den klinischen Verlauf nach einem Herzinfarkt.
Günstiger Einfluss auf Krebserkrankungen?
Wenngleich sich die lebensverlängernde Wirkung von Metformin als fraglich entpuppt, so war dennoch die Euphorie groß über Hinweise, dass Metformin den Verlauf von Krebserkrankungen möglicherweise günstig beeinflussen kann. Dies beruht auf wissenschaftlichen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Diabetes und der Einnahme von Diabetes-Medikamenten und den Auswirkungen auf das Überleben. Denn bekannt ist, dass bei Diabetikern das Krebsrisiko erhöht ist.
Interessante Daten gibt es hier zum Beispiel zum Überleben von Diabetes-Patienten insbesondere mit Darmkrebs. So überlebten in einer amerikanisch-chinesischen Studie (4) diejenigen Darmkrebs-Patienten länger, die zugleich mit Metformin behandelt wurden, länger im Vergleich zu Krebspatienten, die andere Antidiabetika (Sulfonylharnstoffe, Insulin) erhalten hatten. Und auch in einer amerikanischen Studie kamen die Forscher bei Darmkrebspatienten zu ähnlichen Ergebnissen: Neben einem verbesserten Überleben kam es zum Rückgang von Tumormarkern, es gab weniger Krankheitsrückfälle und Metastasen bei jenen Patienten, die wegen ihrer Diabeteserkrankung auch Metformin erhalten hatten (5).
Solche Ergebnisse können zunächst als interessanter Hinweis gewertet werden. Sie sind aber noch kein Beweis für eine günstige Wirkung von Metformin auf den Verlauf einer Darmkrebserkrankung. Ein solcher kausale Effekt muss erst in einer kontrollierten (prospektiven) Studie erbracht werden.
Dazu wird zum Beispiel derzeit bei Menschen mit Li-Fraumeni-Syndrom in einer solchen Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover (6) geprüft, ob Metformin tatsächlich das Krebsrisiko senkt. Denn Betroffene mit diesem Syndrom haben von Geburt an ein stark erhöhtes Risiko, generell an Krebs zu erkranken. Diese Erkrankung wurde ausgewählt, da man an einem solchen Modell schon bei einer begrenzten Zahl von Patienten prüfen kann, ob Krebserkrankungen günstig durch Metformin beeinflusst werden können.
Als potenzielle molekulare Mechanismen von Metformin, die einen krebsprotektiven Effekt erklären könnten, werden die Reduktion des Insulinspiegels (und damit eine vermindertes Zellwachstum), die Inhibition des mTOR-Signalwegs (und damit eine Aktivierung des Immunsystems) sowie auch antiinfammatorische Mechanismen diskutiert
Widersprüchliche Daten bei Demenz
Einige Beobachtungsstudien bei Typ-2-Diabetikern weisen darauf hin, dass die Therapie mit Metformin mit einem erniedrigten Risiko von Demenz einhergeht. Andererseits erhöht Diabetes mellitus Typ 2 selbst die Häufigkeit, an einer Demenz zu erkranken. Insgesamt ist die Datenlage zum Nutzen von Metformin jedoch widersprüchlich. So konnten in einer großen koreanischen Fall-Kontroll-Studie (6) die Wissenschaftler zwar bestätigen, dass für Diabetes-Patienten mit länger bestehender Erkrankungsdauer und bei Diabetikern mit einer Depression das Risiko, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln, deutlich erhöht ist. Überraschend aber: Die Anwendung von Metformin war sogar mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Alzheimer Demenz verbunden.
Für Patienten ohne Typ-2-Diabetes fehlt es ebenso an überzeugenden Befunde, dass bei ihnen das Demenzrisiko durch Metformin reduziert werden könnte.
Fazit: Metformin – Wunderdroge oder nicht?
Die günstigen Wirkungen von Metformin bei Patienten mit Diabetes Typ 2 auf Metabolismus und kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall sind unbestritten. Eindeutige Belege für weitere positive Effekte stehen noch aus. Tierexperimentelle Befunde und Ergebnisse von Beobachtungsstudien lassen zwar die Hoffnung aufkommen, dass Metformin auch bei Nichtdiabetikern vorteilhafte Wirkungen hat. Doch keine dieser vermeintlichen Wirkungen ist bisher durch die Ergebnisse kontrollierter Studien gesichert. Die Einnahme bei Nichtdiabetikern mit dem Ziel, etwa der Alterung oder einer Demenz vorzubeugen, ist daher aktuell nicht zu empfehlen.
- A Critical Review of the Evidence That Metformin Is a Putative Anti-Aging Drug That Enhances Healthspan and Extends Lifespan; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8374068/
- Effect of Intensive Blood-Glucose Control With Metformin on Complications in Overweight Patients With Type 2 Diabetes (UKPDS 34. Lancet (1998) 352:854–65. 10.1016/S0140-6736(98)07037-8
- Loss of metabolic plasticity underlies metformin toxicity in aged Caenorhabditis elegans. Nature Metabolism (2020). DOI: 10.1038/s42255-020-00307-1
- Diabetes Medication Use in Association with Survival among Patients of Breast, Colorectal, Lung, or Gastric Cancer; DOI: https://doi.org/10.4143/crt.2017.591
- https://www.krebs-praedisposition.de/kps-forschung/metformin-machbarkeitsstudie/
- Association of metformin use with Alzheimer's disease in patients with newly diagnosed type 2 diabetes; DOI: 10.1038/s41598-021-03406-5
- 60323 Frankfurt am Main
- info@herzstiftung.de
- www.kardiologie-meinertz-jaeckle.de/
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.