Die Sprechstundenfrage im Wortlaut
Ich kämpfe seit längerer Zeit mit meinem Gewicht. Mein Kardiologe hat mir (58 Jahre) dringlich angeraten, wenigstens fünf (besser zehn) Kilo Gewicht abzunehmen. Ich bin 1,80 Meter groß und wiege derzeit gut 98 Kilogramm. Doch ich komme mit mehr Bewegung und trotz Ernährungsumstellung nicht über zwei Kilo Gewichtsreduktion hinaus. Und die sind auch immer wieder schnell auf den Rippen. Jetzt habe ich gelesen, dass ein Diabetesmittel zum Spritzen auch zur Gewichtsreduktion verordnet werden kann. Was ist davon zu halten? Darf ich als Herzpatient mit einer leichten KHK und erhöhtem Blutdruck (nehme Ramipril plus 5mg/12,5) das überhaupt anwenden? Ich habe zudem Metformin 500 vom Hausarzt verordnet bekommen, weil mein Langzeitblutzuckerwert leicht erhöht ist. Über eine fachliche Einschätzung würde ich mich sehr freuen. (Peter K, Heidelberg)
Experten-Antwort
Sie sprechen vermutlich von der Substanz Semaglutid. In den Medien gab es in jüngster Zeit tatsächlich eine Menge Trubel, nachdem nicht nur in der Wissenschaft viel Positives über die Wirksamkeit dieser Substanz aus der Gruppe der GLP-1 (Glucagon-like-Peptid)-Agonisten berichtet worden ist, sondern auch jede Menge Prominente über ihren Abnehmerfolg mit der “Wunderspritze“ berichtet haben. Die Folge ist allerdings, dass für Patienten mit Typ-2-Diabetes, für die das Mittel ursprünglich entwickelt worden war (Handelsname Ozempic®), derzeit ein gravierender Lieferengpass besteht.
Seit Mitte Juli 2023 können nun Spritzen mit dem Wirkstoff Semaglutid tatsächlich auch Adipositas-Patienten ab einem BMI von 30, bzw. 27 (wenn Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck vorliegen), verschrieben werden (Handelsname Wegovy®). Das Medikament wird einmal die Woche verabreicht, Patienten können es sich selbst spritzen. Allerdings müssen die Kosten für das Medikament selbst übernommen werden, auch wenn Adipositas in Fachkreisen längst als Krankheit anerkannt ist, bezahlen die Krankenkassen das Medikament nicht. Mit einem Preis zwischen rund 43 und 60 Euro (je nach Dosis) pro Woche ist der Weg zur Gewichtsreduktion damit nicht billig.
Rechnet man nun Ihren BMI aus (Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat in kg/m2), so haben Sie tatsächlich deutliches Übergewicht . Ab einem BMI von über 30-34 spricht man auch von einer Adipositas Grad 1. Ihr Kardiologe hat somit guten Grund, Ihnen zur Gewichtsabnahme zu raten, da sie damit sowohl Ihren Bluthochdruck als auch ihre Blutzuckerwerte günstig beeinflussen könnten, was die Herzgefäße langfristig schützt.
Gewicht nimmt nach Absetzen wieder zu
Was ist von einer Therapie mit Semaglutid zur Gewichtsreduktion bekannt? In klinischen Studien wurde damit eine Gewichtsabnahme von mehr als zehn Prozent nachgewiesen, in Kombination mit einer Basistherapie aus Ernährungsumstellung, Bewegung und Verhaltenstherapie sogar 15 Prozent. Das ist ein guter Erfolg bei – im Vergleich zu anderen Medikamenten zur Gewichtsreduktion – geringen Nebenwirkungen. Es stehen vor allem Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung sowie Gallenstein-Risiken im Vordergrund. Künftig könnte die Einnahme von Semaglutid sogar als Tablette erfolgen.
Und auch von anderen Substanzen aus der Gruppe der GLP-1-Agonisten, wie das bei Typ-2-Diabetes zugelassene Tirzapatid, wird von guten Ergebnissen bei der Gewichtsabnahme berichtet (teils 20 Prozent und mehr). An weiteren Substanzen, die an zusätzlichen Rezeptoren angreifen, wie etwa Retatrutid wird intensiv geforscht. Es zeichnet sich somit ab, dass möglicherweise noch weitere Medikamente in naher Zukunft die Behandlungsoptionen bei starkem Übergewicht erweitern könnten, wenn sie eine entsprechenden Zulassung erhalten.
Doch eins gilt weiter: Semaglutid ist – wie auch andere GLP-1-Agonisten – kein Ersatz für regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene, kalorienbewusste Ernährung. Wer seiner Gesundheit dauerhaft etwas Gutes tun möchte, sollte das stets mit im Blick behalten – zumal Semaglutid nur solange wirkt, wie es gespritzt wird. Ist die Therapie beendet, nehmen Anwender wieder zu. Daher sollte vor dem Beginn der Therapie sehr genau abgewogen werden, ob man wirklich schon alles zur Gewichtsreduktion versucht hat, gerade wenn es nur um wenige Kilos geht, und wie groß der persönliche Leidensdruck durch das Übergewicht ist, um Nutzen und Risiken sinnvoll zu erfassen.
Erste Daten zum Herzpatienten
Zur Ihrer weiteren Frage, ob auch Herzpatienten, die sogenannten Abnehmspritze nehmen dürfen: Es gibt keinerlei Gegenanzeigen, die im Beipackzettel erwähnt werden. Nach ersten Daten mit Blick speziell auf Herzpatienten scheint sich eine gewichtsreduzierende Behandlung mit Semaglutid möglicherweise sogar positiv aufs Herz auszuwirken. Der Hersteller Novo Nordisk hat hierzu vor kurzem in einer Meldung zur SELECT-Studie bekanntgegeben, dass das Studienziel, bei Patienten mit Adipositas oder Übergewicht und vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen (z.B. nach Herzinfarkt/Schlaganfall oder mit Herzinsuffizienz, aber ohne Diabetes) die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen durch Semaglutid deutlich zu reduzieren, erreicht worden sei. Die wissenschaftliche Publikation der Studie und ihrer Ergebnisse steht noch aus.
Wie wirken GLP-1-Rezeptor-Agonisten?
Bei den GLP (Glucagon-like-Peptide)-1-Rezeptor-Agonisten handelt es sich um synthetisch hergestellte Peptidhormone, die auf körpereigenen Darmhormonen basieren. Die Substanzen dieser Gruppe stimulieren die Sekretion von Insulin und hemmen die Ausschüttung von Glucagon. Darüber hinaus verlangsamen sie die Magenentleerung und erhöhen dadurch das Sättigungsgefühl.
Experte
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
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Koronare Herzkrankheiten und Herzinfarkt (2020)
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