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Mit Antikörpern gegen Atherosklerose?

Neuer Therapieansatz soll Arteriosklerose mithilfe des Immunsystems aufhalten. Herzstiftung unterstützt aussichtsreichen Forschungsansatz.

Atherosklerose ist eine chronische Erkrankung und Ursache von Schlaganfall und Herzinfarkt. Ablagerungen von Blutfetten in die innere Schicht von Blutgefäßen sorgen dafür, dass eine begleitende Gefäßentzündung entsteht. Am Ende eines längeren Prozesses verengen die Gefäße und der Blutfluss wird somit behindert. Sind von der Atherosklerose diejenigen Gefäße betroffen, die den Herzmuskel mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen (Herzkranzgefäße), entsteht die “koronare Herzkrankheit“. Wird die Blutversorgung kritisch vermindert oder verschließt sich ein Herzkranzgefäß gar komplett, kommt es zum Herzinfarkt.

Bislang konzentrieren sich Ärzte bei der Behandlung der Atherosklerose darauf, klassische Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel zu minimieren und Risikokrankheiten wie Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes mit Medikamenten zu therapieren.

Erkenntnisse auf dem Gebiet der Immunonkologie könnten jedoch künftig auch neue Wege in der Behandlung von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eröffnen. Ein Team unter der Leitung von Dr. med. Kai-Uwe Jarr (Arzt und Wissenschaftler, Abteilung für Kardiologie, Angiologie & Pneumologie, Universitätsklinik Heidelberg) und Professor Nicholas J. Leeper, M.D. (Arzt und Wissenschaftler, Stanford Universität, USA) untersuchten, inwiefern ein gegen den Zelloberflächen-Marker CD47 gerichteter und bereits in der Krebstherapie eingesetzter Antikörper (Magrolimab in Kombination mit Rituximab) auch zur Verringerung einer Gefäßentzündung beitragen kann. Für seine vielversprechenden Ergebnisse wurde Dr. Jarr mit dem Winterstein-Preis der Herzstiftung in Höhe von 10.000 Euro ausgezeichnet.

Dr. Kai-Uwe Jarr im Labor
© Foto/Labor: Jarr/Leeper Dr. Kai-Uwe Jarr im Labor von Prof. Dr. Nicholas J. Leeper, Stanford Universität, USA.

Fressschutz im Visier der Forscher

Im Zentrum der Studie steht die Idee der sogenannten „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“. Hintergrund dabei ist, dass unser Immunsystem unermüdlich arbeitet. Es erkennt, was fremd ist, etwa Eindringlinge wie Viren und Bakterien, und schaltet aus, was dem Organismus gefährlich werden kann. Zu den Hauptakteuren der Abwehr zählen die Makrophagen (griechisch: Riesenfresszellen). Diese speziellen Immunzellen „verschlingen“ alles, was nicht eindeutig als körpereigen gekennzeichnet ist. Damit intakte körpereigene Zellen vor dem Angriff der „Riesenfresszellen“ geschützt sind, tragen sie auf ihrer Oberfläche ein spezielles Protein, den Rezeptor CD47. Er signalisiert den Makrophagen „don’t eat me“ – „friss mich nicht“. Alternde oder sterbende Zellen verlieren die CD47-Rezeptoren und werden daraufhin von Makrophagen gezielt aus dem Verkehr gezogen.

Aus der Krebsforschung ist bekannt, dass dieser Prozess bei Tumorerkrankungen gestört ist: Krebszellen sind genetisch verändert und präsentieren auf ihrer Oberfläche zu viel CD47, sodass die bösartigen Zellen vom Immunsystem fälschlicherweise als intakt bewertet und nicht entfernt werden. Inzwischen gibt es in der Onkologie daher speziell entwickelte Antikörper, die sich gezielt gegen CD47 richten und dessen Signal blockieren. Auf diese Weise kommt eine körpereigene Abwehrreaktion gegen den Tumor in Gang. Im Fachjargon werden die Antikörper „Checkpoint- Inhibitoren“ genannt, weil sie an wichtigen Schaltstellen – den „Checkpoints“ – in die Regulation der Immunantwort eingreifen.

Mittlerweile weiß man, dass es auch bei anderen chronischen Erkrankungen, wie zum Beispiel der Atherosklerose, zu dieser „Essstörung“ des Immunsystems kommen kann. So wurde in Untersuchungen gezeigt, dass Signalstoffe des Immunsystems, die bei lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt sind, zu einer übermäßigen Präsentation des „Don’t eat me“-Signals CD47 beitragen. „Normalerweise würden Makrophagen erkrankte und sterbende Zellen, die die Plaquebildung fördern, ,wegräumen‘“, erklärt Dr. Jarr. „Die übermäßige CD47-Präsentation führt jedoch dazu, dass sich auch hier die erkrankten Zellen dem Immunsystem fälschlicherweise entziehen.“ 

Checkpoint-Hemmung: Wirksam gegen Plaquebildung?

Das internationale Wissenschaftlerteam unter Leitung von Dr. Jarr und Professor Leeper zeigte nun, dass eine Blockade von CD47 zu einer Verringerung der Gefäßentzündung beitragen kann. Die ersten Untersuchungen an neun Patienten mit Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Atherosklerose, und koronarer Herzkrankheit/Herzinfarkt deuten darauf hin, dass eine „Makrophagen-Checkpoint-Hemmung“ auch hier den „Appetit“ der Makrophagen anregt und in der Folge die begleitende Gefäßentzündung vermindert.

Weitere klinische Studien sollen nun folgen, um diese Beobachtung eingehender zu untersuchen und die „Checkpoint-Hemmung“ als Therapieoption gegen atherosklerotische Plaques zu bestätigen. Falls dies gelingt, wäre diese zielgerichtete Behandlung ein gänzlich neuer Ansatz bei Atherosklerose und könnte das Risiko von Schlaganfall und Herzinfarkt verringern.

Forschung nah am Patienten

Die vielversprechenden Ergebnisse dieser Forschungsarbeit sind im Frühjahr 2021 in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ publiziert und nun mit dem Winterstein-Preis der Herzstiftung ausgezeichnet worden. Die von den Heidelberger Wissenschaftlern und ihren Kollegen vorgestellten Ergebnisse seien eine wichtige Grundlage für zukünftige Arbeiten, lobt Professor Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung: „Sie zeigen auf elegante Weise den gelungenen Transfer von Erkenntnissen aus der Immuntherapie gegen Krebs zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Die Herzstiftung hat die prämierte und erfolgreich publizierte Arbeit zuvor mit den Fördermitteln eines Jahresstipendiums unterstützt.

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Jarr, K.­U. et al. (2021): Effect of CD47 Blockade on Vascular Inflamma­tion. doi: 10.1056/NEJMc2029834.

Frau schaut auf Ihr Handy und bekommt eine Nachricht
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