Die European Society of Cardiology (ESC) bewertet in einem neuen Konsensuspapier Impfungen als die vierte Säule der kardiovaskulären Prävention. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass erhöhte Spiegel an Entzündungsmarkern im Blut mit einem deutlichen Risiko für atherosklerotische Herzerkrankungen einhergehen, sollten auch Infektionen vermieden werden, die einem Entzündungsausbruch gleichkämen, so die Erklärung. Besonders die jährliche Grippeimpfung wird klar empfohlen, um schweren kardiovaskulären Ereignissen, Herzrhythmusstörungen sowie einer Herzschwäche vorzubeugen. Die anderen drei Säulen der Prävention neben dem Impfen sind:
- Therapie gegen Bluthochdruck
- Therapie gegen Fettstoffwechselstörung
- Therapie gegen Typ-2-Diabetes
Für wen sind Impfungen besonders wichtig?
Grundsätzlich gelten die Impfempfehlungen der Allgemeinbevölkerung auch für Herzkranke. Besonders aufmerksam sollten Menschen ab 65 Jahren, mit Herzschwäche (Herzinsuffizienz), koronarer Herzkrankheit (KHK), Diabetes oder in immunsupprimierten Situationen sein – hier wird der Schutz ausdrücklich nahegelegt. Die folgenden Impfungen sind unter kardiovaskulären Gesichtspunkten besonders wichtig.
Grippe (Influenza)
Die Grippeimpfung senkt das Risiko für einen schweren Infektionsverlauf deutlich. In Studien kam es auch bei Geimpften seltener zu schweren kardiovaskulären Ereignissen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall) im Vergleich zu Patienten ohne Impfung. Und bei Patientinnen und Patienten, die während des Krankenhausaufenthalts nach einem akuten Herzinfarkt geimpft wurden, konnte die kardiovaskuläre Sterblichkeit verringert werden. In der noch laufenden DANFLU-2-Studie wird derzeit der Nutzen eines Hochdosis-Quadrivalenten Impfstoffs gegen einen Standard-Quadrivalenten Impfstoff bei älteren Menschen untersucht.
Pneumokokken
Die Pneumokokken-Impfung verhindert invasive Krankheitsverläufe einer bakteriellen Lungenentzündung zu 60–70 Prozent. Eine Auswertung mehrerer Studien (Metaanalyse) ergab, dass die Impfung mit dem Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff bei Personen im Alter ab 65 Jahren die Zahl aller kardiovaskulären Ereignisse, einschließlich Herzinfarkt, um zehn Prozent verringert.
COVID-19
Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sind je nach Impfstofftyp und SARS-CoV-2-Stamm unterschiedlich wirksam. Insgesamt verringern die verfügbaren Impfstoffe die Schwere der Infektion und die Zahl an Krankenhausaufenthalten und Todesfällen. Ungeimpfte Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich Herzinsuffizienz, haben einen deutlich schwereren Covid-Verlauf als Geimpfte und ein um etwa 30 Prozent höheres Risiko, an Long-Covid zu erkranken. Eine Impfung reduziert das Risiko von Long-Covid um 43 Prozent, wie eine Studie ergab.
Weitere Impfungen mit Relevanz fürs Herz
- RSV (Respiratorisches Syncytial-Virus). Das Atemwegsvirus trifft neben Kindern hauptsächlich auch Erwachsene über 60 Jahre, insbesondere solche mit Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen. Bei 20 Prozent dieser Personen können kardiale Ereignisse auftreten. Bei älteren Menschen beugt die Impfung Lungeninfektionen zu 89 Prozent vor und kann vermutlich auch nachfolgende kardiale Ereignisse reduzieren.
- Herpes Zoster (Gürtelrose): wird mit kardiovaskulären Komplikationen wie akutem Herzinfarkt, Schlaganfall und vorübergehender ischämischer Attacke in Verbindung gebracht. Eine Herpes-Zoster-Impfung beugt der Krankheit zu über 90 Prozent vor und reduziert kardiovaskuläre Ereignisse um über 50 Prozent.
- HPV: Eine Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV) ist mit einem bis zu vierfach erhöhten Risiko für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen, koronare Herzkrankheit und Schlaganfall verbunden. Eine HPV-Impfung scheint bei fast 100 Prozent der Personen wirksam zu sein – gerade bei Frauen wird damit das Herz-Kreislauf-Risiko einer Impfung verhindert. Ob HPV auch bei Männern ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen mit sich bringt, wird noch erforscht.
Wann impfen? Und geht das gleichzeitig?
Die ESC gibt eine praktische Orientierung: Vor jedem Winter an den Grippeschutz denken, vor allem wenn bereits ein erhöhtes Herzrisiko besteht, etwa bei einer koronaren Herzerkrankung. Aktuell wird in Europa die saisonale Influenza-Impfung allen Personen ab 60 Jahren sowie allen Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens empfohlen.
Eine Pneumokokken-Impfung wird grundsätzlich allen Personen über 60 Jahren empfohlen. Die ESC rät alle fünf bis zehn Jahre zur Auffrischimpfung, insbesondere bei Herzinsuffizienz. Und gegen alle anderen Infektion sollte entsprechend der Empfehlung der Impfkommission (STIKO in Deutschland) geimpft werde.
Eine simultane Impfung ist der ESC zufolge grundsätzlich gegen Influenza + Pneumokokken + Covid-19 + RSV möglich.
Besondere Lebenslagen und Patientengruppen
- Angeborene Herzfehler: Jährliche Grippeimpfung wird empfohlen – insbesondere bei moderaten bis schweren Verläufen und zyanotischen Herzfehlern sowie für EMAH mit einer pulmonaler Hypertonie.
- Herztransplantation: durch die nötige Einnahme von Immunsuppressiva ist das Infektionsrisiko erhöht. Nach den Empfehlungen der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungen-Transplantation sollte daher vor der Transplantation die Impfung mit Lebendimpfstoffen (MMR, Varizellen, Zoster, Rotavirus) spätestens 4 Wochen vorher abgeschlossen sein. Die Impfung mit inaktivierte Vakzinen (z. B. SARS-CoV-2, Influenza, Pneumokokken, Tetanus/Keuchhusten, Hepatitis A/B, HPV) sollte mindestens zwei Wochen vor der Transplantation vervollständigt werden. Nach einer Transplantation wird in der Regel innerhalb der ersten drei bis sechs Monate keine Impfung durchgeführt.
- ESC-Konsensus „Vaccination as a new form of cardiovascular prevention“ (European Heart Journal, September 2025, doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf384.
Experte
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
