Lange Zeit waren Herzglykoside wie der Wirkstoff Digitoxin, der aus den Blättern des roten Fingerhuts gewonnen wird, für Patienten mit Herzschwäche unentbehrlich. In der modernen Therapie werden sie inzwischen eher nachrangig eingesetzt. Diese stützt sich heute vor allem auf diese vier Medikamentengruppen:
- Betablocker: verlangsamen den Herzschlag und entlasten das Herz
- ACE-Hemmer oder verwandte Substanzen: reduzieren den Widerstand in den Gefäßen
- Mineralkortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA): helfen gegen Flüssigkeitsansammlungen
- SGLT2-Hemmer: ursprünglich als Diabetes-Medikamente entwickelt, wirken sie auch herzschützend
Digitoxin – altes Medikament im neuen Licht
Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wollten nun herausfinden, ob das altbekannte Medikament Digitoxin doch noch einen Platz in der modernen Herztherapie verdient. Über einen Zeitraum von rund zehn Jahren untersuchten sie mehr als 1.200 Patienten mit schwerer Herzschwäche, die bereits optimal mit den modernen Standardmedikamenten behandelt wurden.
Die Hälfte der Teilnehmer erhielt in dieser – unter anderen von der Deutschen Herzstiftung unterstützten – Studie zusätzlich Digitoxin in niedriger Dosierung. Die andere Hälfte bekam ein Scheinmedikament (Placebo). Ziel der DIGIT-HF-Studie war es, den Effekt bei einer Herzschwäche aufgrund einer verminderten Pumpfunktion und einer unzureichenden Entleerung der linken Herzkammer – in der Fachsprache HFrEF (Heart Failure with Reduced Ejection Fraction) – nach aktuellem wissenschaftlichem Standard zu prüfen.
Die wichtigsten Ergebnisse der DIGIT-HF-Studie
Nach drei Jahren zeigte sich ein statistisch bedeutsamer Unterschied: Patienten, die Digitoxin zusätzlich zu ihrer Standardtherapie erhalten hatten, wiesen ein um 18 Prozent geringeres Risiko auf, wegen einer Verschlechterung ihrer Herzschwäche ins Krankenhaus zu müssen oder vorzeitig zu sterben. Dieser kombinierte Endpunkt spiegelt sowohl die Lebensqualität als auch das Überleben der Patienten wider.
Allerdings zeigten sich die positiven Effekte nicht bei allen Patienten gleichermaßen. Besonders Menschen mit schnellerem Herzschlag – über 75 Schläge pro Minute – oder niedrigem Blutdruck unter 120 mmHg profitierten von der zusätzlichen Digitoxin-Gabe. Dies deutet darauf hin, dass eine individuelle Patientenauswahl entscheidend für den Therapieerfolg ist.
Wie sicher war die Anwendung von Digitoxin?
Wie bei allen wirksamen Medikamenten brachte auch Digitoxin Nebenwirkungen mit sich. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei knapp fünf Prozent der damit behandelten Patienten auf, verglichen mit knapp drei Prozent in der Placebogruppe.
Überwiegend handelte es sich um kardiale Störungen, einschließlich gefährlichem Kammerflimmern (bei 1,6 % der mit Digitalis und 0,5 % der mit Placebo Behandelten). Diese Zahlen unterstreichen, wie wichtig eine sorgfältige Dosierung und regelmäßige Überwachung bei der Verwendung von Herzglykosiden sind.
Was lässt sich aus der Studie zu Digitoxin schließen?
Das Besondere an der DIGIT-HF-Studie war, dass der Anteil an kränkeren Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz (rund 70 % im NYHA-Stadium III oder IV) wesentlich höher als in vorangegangenen Herzinsuffizienz-Studien war. Außerdem waren die Patientinnen und Patienten bereits sehr gut vorbehandelt. Dennoch wurde mit der Digitoxin-Zusatzbehandlung noch eine Verbesserung erzielt.
Nach Einschätzung von Studienleiter Prof. Dr. Udo Bavendiek, Oberarzt an der der Klinik für Kardiologie und Angiologie der MHH, stützt DIGIT-HF damit die Nutzung von Digitoxin in der Behandlung von Patienten mit HFrEF. Zudem sei Digitoxin – anders als das Herzglykosid Digoxin – auch bei einer gestörten Nierenfunktion anwendbar, wie sie häufig bei fortgeschrittener Herzschwäche auftrete.
Info:
Noch bis etwa 2020 standen Digitalis-Präparate auf der Produktionsliste großer Pharmakonzerne. Aktuell wird Digitoxin nur noch als Nachahmerpräparat, als sogenanntes Generikum, produziert.
Digitoxin in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction; N Engl J Med. 2025; DOI: 10.1056/NEJMoa2415471
DIGIT-HF: Digitoxin in patients with heart failure and reduced ejection fraction’ ESC-Kongress, HOT LINE-Sitzung, 29 August 2025.
Experte
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Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
