Stellungnahme

Betablocker: Wie gut sind sie?

Eine Stellungnahme von Prof. Dr. med. Thomas Eschenhagen, Mit­glied im Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat der Deut­schen Herz­stif­tung

Vor einiger Zeit hatte es eine heftige Diskussion über die Wirksamkeit von Betablockern gegeben. So schrieb zum Beispiel Der Spiegel: „Viele Ärzte verschreiben Betablocker gegen zu hohen Blutdruck. Doch eine neue Studie zeigt: Diese Mittel sind schlechter als ihr Ruf. Lars Hjalmar Lindholm ist ein Mann klarer Worte: Wenn Sie mich fragen, ob ich meiner Mutter diese Medikamente geben würde, sagt der Mediziner von der Umeå-Universität, so lautet meine Antwort: nein! Gemeinsam mit Kollegen hat der schwedische Wissenschaftler 20 Studien über Betablocker ausgewertet, insgesamt wurden mehr als 130 000 Patienten berücksichtigt. Ungewöhnlich eindeutig fällt ihre Empfehlung im britischen Fachmagazin Lancet aus: Wir glauben, Betablocker sollten nicht die erste Wahl bei der Therapie des Bluthochdrucks (primäre Hypertonie) bleiben.“

So weit Der Spiegel. Kein Wunder, dass Patienten, die Betablocker wegen ihres hohen Blutdrucks einnehmen, verunsichert sind. Sollen sie auf andere Medikamente wie ACE-Hemmer oder Sartane umsteigen? Wie steht es mit Patienten, die nicht nur unter hohem Blutdruck, sondern zusätzlich unter koronarer Herzkrankheit oder Herzschwäche, unter Diabetes oder Nierenerkrankungen leiden? Wie wirksam sind Betablocker bei diesen Krankheiten? Die Herzstiftung hat Professor Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, um eine Stellungnahme zu diesen wichtigen Fragen gebeten.

Die Stellungnahme von Prof. Thomas Eschenhagen:

Tatsächlich haben die jüngsten Ergebnisse zu den Betablockern nicht nur bei Patienten, sondern auch bei Ärzten und Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema beschäftigen, zu großer Verunsicherung geführt. An der Berichterstattung im Spiegel ist wie immer etwas dran, aber dennoch geht die mögliche Schlussfolgerung, nun keine Betablocker mehr zu verordnen, aus meiner Sicht völlig in die Irre.

Die schwedische Studie

Was gibt es wirklich an neuen Erkenntnissen zu den Betablockern? Die schwedischen Wissenschaftler haben alle bislang verfügbaren, als methodisch einwandfrei gewerteten Arbeiten zur Wirksamkeit von Betablockern bei Patienten mit Bluthochdruck durchkämmt und die Ergebnisse, gewertet nach der Größe der jeweiligen Studie, zusammengefasst, das heißt, sie haben eine sogenannte Metaanalyse vorgenommen. Aussagen über Medikamente werden durch eine Metaanalyse untermauert, weil die Zusammenfassung mehrerer Studien eine große Zahl von Patienten einschließen kann. Jedoch kann es durch Metaanalysen zu Fehlinterpretationen kommen. Zum Beispiel aus folgenden Gründen:

  • Kleine Studien führen häufig zu statistischen Verzerrungen, und Betablocker sind in Zeiten entwickelt worden, in denen Studien viel kleiner waren als heute.
  • Heute werden Betablocker nur noch in Studien als Vergleichssubstanzen zu neueren Arzneimitteln untersucht. Dabei lassen sich Studien mit positiven Ergebnissen viel leichter publizieren als solche mit negativen. Auch diese Einseitigkeit kann zu Verzerrungen führen.

So sind Metaanalysen im Herz-Kreislauf-Bereich schon zu völlig falschen Schlüssen gekommen. Ein Beispiel: Die angeblich günstige Wirkung von Magnesium nach Herzinfarkt. Erst große, direkt mit einem Scheinmedikament (Placebo) vergleichende Studien haben mit falschen Schlüssen aufgeräumt. Dies sollte bei der Beurteilung der Betablocker-Metaanalysen bedacht werden.

Ergebnisse

Was haben die Studien gezeigt? Die erste Metaanalyse, die vor gut einem Jahr veröffentlicht worden ist, wies darauf hin, dass der Betablocker Atenolol bei Patienten mit Bluthochdruck zwar wie erwartet den Blutdruck senkt, aber keinen Effekt auf die Häufigkeit von Schlaganfall und die gesamte Todesrate hatte und nur die Häufigkeit von Herzinfarkten tendenziell verringerte. Dieses Ergebnis ist zwar schwer zu verstehen, weil kaum ein Zusammenhang so gut dokumentiert ist wie der zwischen einer Blutdrucksenkung und einer Verringerung der Häufigkeit von Schlaganfall, Herzinfarkt und Sterblichkeit, wirft aber einen berechtigten Zweifel an dem Nutzen von Atenolol auf. Die vor wenigen Wochen veröffentlichte zweite Arbeit widmet sich nun allen Betablockern und findet zunächst, dass diese – wie erwartet – in Bezug auf den Schlaganfall statistisch eindeutig und in Bezug auf Herzinfarkte und Gesamttodesrate tendenziell besser waren als das Scheinmedikament (Placebo). Allerdings war die 19-prozentige Senkung der Schlaganfallrate nur etwa halb so groß, wie man das von Untersuchungen mit den älteren, entwässernden Medikamenten (Diuretika) kannte. Im Weiteren fiel auf, dass es überhaupt nur wenig Daten zu Nicht-Atenolol-Betablockern gibt, und man hierzu daher keine klaren Aussagen machen kann. Wenn man aber die häufiger untersuchten Kombinationen zwischen einem Betablocker und einem Diuretikum mit anderen blutdrucksenkenden Substanzen vergleicht, so zeigt sich in der Metaanalyse kein eindeutiger Vor- oder Nachteil.

Die beiden Arbeiten haben also vor allem Hinweise für eine fehlende oder geringere Wirksamkeit von Atenolol bei Patienten mit hohem Blutdruck erbracht. Diese Substanz ist daher aus meiner Sicht nicht mehr erste Wahl. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Arbeiten, die darauf hindeuten, dass das nicht gut gewebegängige (wasserlösliche) Atenolol möglicherweise weniger gut wirkt als die stärker gewebegängigen (fettlöslichen) Betablocker. Zu diesen gehören die bei uns viel häufiger eingesetzten Betablocker Metoprolol, Bisoprolol und Carvedilol. Zu diesen kann auch die neue Metaanalyse keine klaren Aussagen machen. Allerdings hat die Studie gezeigt, dass die Datenlage weniger eindeutig ist, als man dachte. Das spricht für weitere wissenschaftliche Untersuchungen. Außerdem zeigen andere große Studien der letzten Jahre, dass Betablocker bei Patienten mit Bluthochdruck die Wahrscheinlichkeit um etwa 25 Prozent erhöhen, Diabetes zu entwickeln, was klar als Nachteil zu werten ist.

Ganz wichtig erscheint mir aber, dass darüber hinaus keinerlei Hinweise auf negative Langzeitwirkungen von Betablockern bestehen und der günstige Effekt von Betablockern nach Herzinfarkt, bei chronischer Herzschwäche, Vorhofflimmern und anderen Herzrhythmusstörungen, Altersdiabetes und Schilddrüsenüberfunktion eindeutig nachgewiesen ist. Diese Erkrankungen liegen bei Patienten mit Bluthochdruck häufig gleichzeitig vor und verstärken den Grund einen Betablocker einzunehmen. Zum Beispiel verbessern Bisoprolol, Metoprolol und Carvedilol nach großen Studien die Prognose von Patienten mit Herzschwäche um 35 Prozent – eine Wirkung, die größer ist als die jeder anderen Substanzklasse. Auch zeigt sich in Herzinfarktregistern keine Wirkung so robust und mit 50 Prozent Verringerung der Sterblichkeit so groß wie die von Betablockern.

Was bedeutet das für den Patienten?

Für den Patienten ergeben sich daraus – meiner Meinung nach – folgende praktische Konsequenzen:

  1. Atenolol ist in der Therapie des Bluthochdrucks nicht mehr Mittel der ersten Wahl. Ich persönlich würde auf Bisoprolol oder einen anderen fettlöslichen Betablocker (Metoprolol, Carvedilol) umstellen.
  2. Bei Patienten, die nur an Bluthochdruck leiden, das heißt ohne eine der genannten Begleiterkrankungen, sind Betablocker aufgrund des nicht so gut dokumentierten Nutzens nicht mehr erste Wahl. Dies gilt insbesondere für übergewichtige Patienten mit hohem Risiko für Diabetes und für Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko.
  3. Patienten mit Bluthochdruck, die bereits mit Bisoprolol, Metoprolol oder Carvedilol gut eingestellt sind und das Medikament gut vertragen, muss man aus meiner Sicht nicht umstellen. Dazu ist die Datenlage nicht eindeutig genug.
  4. Bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit, nach Herzinfarkt, bei Herzschwäche, Vorhofflimmern oder anderen Herzrhythmusstörungen bleiben Betablocker erste Wahl.
  5. Bei jedem mit Diuretika, ACE-Hemmern, AT1-Blockern oder Calciumantagonisten nicht ausreichend einstellbarem Blutdruck sind Betablocker ein guter Kombinationspartner.
  6. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen den Substanzen in der Behandlung des hohen Blutdrucks relativ klein. Das Wichtigste bleibt die gute Blutdrucksenkung – ganz gleich mit welcher Substanz.

Kleine Erfolge zählen

Übergewicht ist ein wichtiger Risikofaktor für Bluthochdruck. Aber abnehmen? Eine neue Framingham-Studie zeigt ein ermutigendes Ergebnis. Framingham ist eine Stadt in Massachusetts/USA, deren Einwohner seit 1948 schon in der dritten Generation gründlich untersucht und befragt werden, um die Entstehung von Herz-Kreislauf-Krankheiten aufzuklären. In der neuen Studie, die jetzt veröffentlicht wurde, ist untersucht worden, wie Abnehmen sich auf das Entstehen von hohem Blutdruck auswirkt. 623 Männer und Frauen zwischen 30 und 49 Jahren und 605 Männer und Frauen zwischen 50 und 65 Jahren, die alle übergewichtig waren, das heißt einen Body-Mass-Index von über 25 hatten, waren in die Studie eingeschlossen. Zu Beginn der Studie hatten sie weder hohen Blutdruck noch koronare Herzkrankheit, Diabetes oder Krebs. Wer nach vier Jahren 6,8 Kilo oder mehr abgenommen hatte, verringerte sein Risiko, einen Hochdruck zu erleiden, um 21 Prozent. Bei den Älteren waren es sogar 29 Prozent. Wem es gelang, das verringerte Gewicht weitere 4 Jahre zu halten, hatte einen noch größeren Erfolg: Schon ein Gewichtsverlust von durchschnittlich 2,2 Kilo, der durchgehalten wurde, führte zu einer Verringerung des Risikos, einen Hochdruck in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu entwickeln: bei den Jüngeren um 22 Prozent, bei den Älteren um 26 Prozent. Das heißt: Auch wenn Abnehmen nicht zu spektakulären Erfolgen führt – es lohnt sich!

Experte

Prof. Dr. med. Thomas Eschenhagen
Portrait von Prof. Thomas Eschenhagen